SÄURE
blinden Glauben, daß es der richtige Weg war. Nachdem ich ein paar Meilen hineingefahren war, hörte ich ein dumpfes, mechanisches Stottern. Es wurde lauter, betäubend laut, schien auf mich herunter zukommen. Zwei Paare roter Lichter erschienen oben an meiner Windschutzscheibe, neigten sich herab und bewegten sich unmittelbar in meinem Gesichtsfeld, bevor sie wieder senkrecht hochstiegen und nach Norden abdrehten. Doppelte Suchscheinwerfer begannen die Dunkelheit wie mit Sicheln zu zerschneiden, erleuchteten strahlend Baumwipfel und Spalten, glitten über Abhänge, ließen vorübergehend eine Wasserfläche aufblitzen.
Als ich um die nächste Kurve bog, sah ich es: das Wasser. Dann ein Wall aus Beton, Betonmolen, eine schräg abfallende Überlaufrinne. Ich versuchte den Scheinwerferlichtbahnen der Hubschrauber zu folgen, erkannte den Damm der Wasserreservoirbehörde, der sich etwa vierhundert Meter über der Wasserfläche erhob. An der Straße stand ein Hinweisschild: Morris Dam and Reservoir. Flood Maintenance District.
Es war lange her, daß man im Süden Kaliforniens Maßnahmen gegen Überschwemmungen gebraucht hatte, da die derzeitige Dürre schon das vierte Jahr andauerte. Trotzdem mußte das Reservoir eine beträchtliche Tiefe aufweisen. Eine Milliarde Liter oder mehr, tiefblau und geheimnisvoll.
Milo hatte gesagt, ich solle auf einen Betriebszufahrtsweg am Damm achten. Die ersten beiden, an denen ich vorbeikam, waren durch verschlossene metallene Schranken blockiert. Fünf Meilen weiter, als die Straße steil abfiel, um zum Nordrand des Reservoirs weiterzuführen, sah ich aufblitzende Warnlichter, flackernde bernsteinfarbene Notfallsignallampen auf orange-weißen Absperrböcken, eine Ansammlung von Fahrzeugen: Polizeiautos aus Arizona, L.A. Sheriffs, Jeeps der Park-Behörde, Sanitätsfahrzeug der Feuerwehr.
Hinter einem der Jeeps ein ausländisches Kontingent: das Heck von Ricks weißem Porsche und ein anderer weißer Wagen, ein Mercedes 560 SEC, mit Stahlfelgen.
Eine Sheriff-Stellvertreterin stellte sich mitten auf die Straße und hielt mich an. Ich steckte den Kopf aus dem Fenster.
»Tut mir leid, Sir, die Straße ist gesperrt.«
»Ich bin Dr. Delaware. Mrs. Ramps Tochter ist meine Patientin. Sie hat mich gebeten herzukommen.«
Sie fragte, ob ich mich ausweisen könne. Nach einem Blick auf meinen Führerschein sagte sie: »Einen Augenblick, Sir, aber stellen Sie erstmal den Motor ab, Sir.« Sie trat beiseite, sprach in ein Walkie-Talkie, kam zurück und nickte.
»Okay, Sir, Sie können Ihren Wagen gleich hier stehenlassen, mit dem Schlüssel drin, - wenn Sie nichts dagegen haben, daß ich ihn wegfahre, falls das nötig sein sollte. Sie sind alle da unten.« Sie deutete auf eine offene Schranke. »Seien Sie vorsichtig, es ist steil.«
Der Weg war zwei oder drei Meter breit und führte durch Mesquitegebüsch mit jungen Nadelbäumen dazwischen. Er war asphaltiert, aber sicherlich erst seit kurzem, denn er war weich unter meinen Schuhsohlen. Die Haftung des Belags bot etwas Halt, aber ich mußte trotzdem seitwärts hinabgehen, um auf dem Abhang von fünfzig Grad das Gleichgewicht zu behalten.
Ich stieg auf diese Art etwa vierhundert Meter hinab, bis ich die Talsohle erblickte. Eine etwa zwanzig Meter im Quadrat große Fläche, die zu einem schmalen hölzernen Dock führte, das am Rande des Reservoirs im Wasser schaukelte. Warnlampen hingen an Kabeln zwischen hohen Masten und tauchten alles in ein fahles Licht. Leute in Uniformen drängten sich links vom Dock zusammen und betrachteten etwas, versuchten sich gegen das Brüllen der Hubschrauber anschreiend zu verständigen. Dort, wo ich stand, konnte ich nichts verstehen.
Ich kletterte weiter hinunter und sah den Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit: ein Rolls-Royce, dessen Heck im Wasser versunken war, während die Vorderräder einen Meter oder mehr über dem Boden aufragten. Die Fahrertür stand offen.
Ich sah mich in der Menge um und erblickte Don Ramp in Hemdsärmeln neben Chief Chickering. Er starrte den Wagen an, eine Hand auf dem Kopf, die andere in der Hose, um etwas Kammgarn verkrampft, als versuche er sich buchstäblich zusammenzureißen.
Von Milo war nichts zu sehen. Schließlich entdeckte ich ihn auf der Seite, wo es etwas dunkler war. Er trug ein kariertes Hemd und Jeans und hatte den Arm um Melissa gelegt. Eine dunkle Decke lag über ihren Schultern. Sie standen mit dem Rücken zum Wagen. Milos Lippen bewegten sich. Ich konnte nicht genau
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