SÄURE
erkennen, ob Melissa zuhörte.
Ich kletterte zu ihnen hinüber. Milo sah mich kommen und runzelte die Stirn. Melissa sah zu mir hoch, blieb aber unter seinem Arm. Ihr Gesicht war weiß und völlig bewegungslos. Ich sprach sie mit ihrem Namen an.
Sie reagierte nicht.
Ich nahm ihre beiden Hände und drückte sie. Sie sagte mit tonloser Stimme: »Sie sind immer noch unten.«
Milo ergänzte mit dem geübten Ton eines Dolmetschers: »Die Taucher.«
Einer der Hubschrauber kreiste tiefer über dem Reservoir und zeichnete mit seinem Scheinwerferstrahl Lichtkreise ins schwarze Wasser. Jemand schrie plötzlich etwas, worauf Melissa ihre Hand losriß und sich nach dem Geräusch umdrehte.
Einer der Parkrangers beleuchtete mit einer Taschenlampe einen Punkt im Wasser nahe dem Rand des Beckens. Ein Taucher kam aus dem Wasser, riß die Maske herunter und schüttelte den Kopf. Als er ganz aus dem Wasser stieg, tauchte ein zweiter Taucher auf. Beide fingen an, ihre Skuba-Tanks und Gewichtsgürtel abzulegen.
Melissa gab ein stöhnendes Geräusch von sich und schrie auf: »Nein!« Sie lief zu ihnen hin, Milo und ich folgten ihr. Sie erreichte die Taucher und kreischte: »Nein! Sie können jetzt nicht aufhören!«
Die Taucher wichen vor ihr zurück und legten ihre Geräte auf den Boden. Sie sahen zu Chickering hinüber, der auf sie zukam, begleitet vom stellvertretenden Sheriff. Einige der anderen Männer sahen zu uns herüber. Ramp blieb, wo er war, immer noch auf den Wagen fixiert.
»Wie sieht’s aus?« fragte Chickering die Taucher.
»Pechschwarz«, sagte einer der Taucher. Er warf Melissa einen verstohlenen Blick zu, als ob es ihm peinlich wäre, und wandte sich wieder dem Chief von San Labrador zu. »Wirklich dunkel, Sir.«
»Dann nehmen Sie Licht!« forderte Melissa, »Taucher nehmen nachts immer Lampen, oder nicht?«
»Miss«, sagte der Taucher, »wir…« Er suchte nach Worten. Er war jung, nicht viel älter als sie. Er fing an mit den Zähnen zu klappern und mußte die Kiefer aufeinanderbeißen, damit es aufhörte. Der andere Taucher, genauso jung, erklärte ihr: »Wir haben Lampen benutzt, Miss.« Er bückte sich und hob etwas vom Boden auf. Eine Birne in einem schwarzen Behälter, der an einem Tragriemen befestigt war. Er ließ sie ein paarmal hin und her pendeln und legte sie wieder hin. »Eine Unterwasserlampe, Miss. Wir benutzen die gelben Birnen, Miss, sie sind hervorragend für diese Art von - Das Problem ist hier, daß es sogar am Tag ziemlich trübe ist. Nachts…« Er schüttelte den Kopf, rieb sich die Arme, sah zu Boden.
»Es ist ein Reservoir, verdammt!« schimpfte Melissa. »Es ist Trinkwasser, wie kann es dreckig sein?«
»Nicht dreckig, Miss«, sagte der dunkelhaarige Taucher, »trübe, irgendwie undurchsichtig. Es ist die natürliche Farbe des Wassers - Mineralien. Kommen Sie mal am Tag her, und Sie werden sehen, daß es richtig tiefgrün ist -« Er hörte auf zu sprechen, sah zur Menge hin, wartete auf eine Bestätigung.
Der stellvertretende Sheriff trat vor. »Wir werden alles tun, um Ihre Mutter zu finden, Miss Dickinson«, versuchte er zu beschwichtigen und zeigte seine regelmäßigen, vom Tabak verfärbten Zähne. »Die Hubschrauber fliegen weiter und suchen in einem Halbkreis von fünfundzwanzig Meilen oberhalb der Straße alles ab. Damit kommen wir bis weit über den Crest Highway. Was das Reservoir angeht, haben die Boote, die die Leute vom Damm gleich am Anfang losgeschickt haben, jeden Quadratzentimeter der Wasseroberfläche abgesucht. Die Hubschrauber fliegen noch einmal darüber, nur zur Sicherheit. Aber was das Wasser unter der Oberfläche angeht, können wir jetzt im Augenblick wirklich nichts tun.« Er sprach ruhig und überlegt, versuchte das Schreckliche zu erklären, ohne daß es schrecklich klang. Wenn Gina unterhalb der Oberfläche war, drängte die Suche nicht.
Melissa knetete die Hände, starrte ihn an, bewegte den Mund.
Chickering runzelte die Stirn und ging einen Schritt auf sie zu.
Melissa schloß die Augen, warf die Hände hoch und stieß einen herzzerreißenden Schrei aus. Schlug beide Hände vor das Gesicht und beugte sich vornüber, als hätte sie Magenkrämpfe. »Nein, nein, nein!«
Milo machte eine Bewegung auf sie zu, aber ich war schon da, und er trat zurück. Ich nahm sie bei den Schultern und zog sie an mich. Sie wehrte sich, schrie immer wieder nein. Ich hielt sie fest, und allmählich ließ sie locker - zu locker. Ich legte ihr einen Finger unters Kinn
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