SÄURE
knackte Madeleine mit einem Fingergelenk. Sie arbeitete am zehnten, als die Türglocke anschlug. Sie eilte, mit soviel Grazie als es ihr Leibesumfang erlaubte, zur Tür, öffnete und ließ Milo herein.
»Monsieur Sturgis.« Wieder auf Neuigkeiten gespannt.
»Hallo, Madeleine.« Er schüttelte den Kopf, tätschelte kurz ihre Hand. Er blickte an ihr vorbei und fragte: »Wie geht’s unserem Mädel?«
»Sie schläft.«
Er kam herein in den Saal und stand vor Melissa. Ihr Daumen steckte noch immer in ihrem Mund. Einige Haarsträhnen hatten sich gelöst und hingen ihr wie ein Schleier über dem Gesicht. Er machte eine Bewegung, als wolle er sie wegschieben, hielt aber inne und flüsterte: »Wie lange ist sie schon in dem Zustand?«
»Seit ich sie in den Wagen gesetzt habe«, sagte ich.
»Ist das okay?«
Wir gingen ein Stück beiseite. Madeleine kam, ging zu Melissa.
»Den Umständen entsprechend…« sagte ich. Madeleine sagte: »Ich werde bei ihr bleiben, Monsieur Sturgis.«
»Klar«, sagte Milo, »Dr. Delaware und ich sind unten im Arbeitszimmer. Sie nickte kurz.
Als Milo und ich zu dem fensterlosen Raum hinübergingen, bemerkte ich: »Du scheinst eine Freundin gefunden zu haben.«
»Die alte Maddy? Nicht gerade die Jüngste, aber sie ist loyal und macht einen herrlichen Kaffee. Sie stammt aus Marseille. Da war ich vor zwanzig Jahren, Zwischenstation auf der Heimreise aus Saigon.«
Papiere mit Milos Handschrift bedeckten die Löschblattunterlage des kleinen weißen Schreibtischs. Ein anderer Berg Notizen und ein Funktelefon lagen auf einem Schreibtisch aus Obstholz. Die Antenne des Telefons war herausgezogen. Milo drückte sie hinein.
»Dies ist Melissas Arbeitstisch«, erklärte er und deutete auf den Tisch. »Wir haben hier drin unsere Informations und Kommandozentrale aufgebaut. Sie ist ein schlaues Kind, fleißig. Wir haben den ganzen Tag herumtelefoniert, nichts davon hat irgendwas erbracht, aber sie hat nicht klein beigegeben. Ich hab’ schon Anfänger bei der Polizei erlebt, die nicht annähernd so gut mit ihrem Frust fertig geworden sind.«
»Sie war motiviert.«
»Yeah.« Er ging hinter den Schreibtisch und nahm Platz. »Wie hast du das mit dem Wagen herausgekriegt?« fragte ich.
»Wir haben um sieben Sandwich-Pause gemacht. Sie hat Witze gerissen, sie würde Harvard sein lassen und Privatdetektivin werden, - das erstemal, daß ich sie habe lächeln sehen. Ich dachte, ich helfe ihr wenigstens, nicht daran zu denken. Während wir aßen, habe ich einen Routinecheck bei der Baldwin-Park-CHP gemacht. Hatte es zuvor schon mal versucht, hatte selbst angerufen, um ihr nicht damit zu sehr auf die Nerven zu gehen. Habe wirklich nicht gedacht, daß es irgendwas bringen würde. Aber die Kollegin da drüben sagte: ›Oh ja, da ist gerade was hereingekommen!‹ und berichtete mir die Einzelheiten. Melissa hat wohl den Ausdruck in meinem Gesicht gesehen, ließ ihr Sandwich fallen. Ich mußte es ihr natürlich sagen. Sie bestand darauf, mit mir zu kommen.«
»Besser als hier zu warten.«
»Schätze ja.« Er stand auf, ging zu dem Tisch zurück und zeigte mit der Fußspitze auf einen dunklen Fleck am cremefarbenen Rand des Aubusson-Teppichs. »Hier ist es hingefallen, ihr Thunfischsandwich mit Mayonnaise, hübscher kleiner Fettfleck.« Er betrachtete das Goya-Portrait und rieb sich die Augen. »Bevor es geschah, hat sie mir ein paar von den Sachen erzählt, die sie durchgestanden hat, wie du ihr geholfen hast. Die Kleine hat mit achtzehn eine Menge erlebt. Ich bin zu hart mit ihr umgegangen, was? Zu unsensibel.«
»Berufskrankheit«, sagte ich, »aber du hast offensichtlich etwas richtig gemacht, sie vertraut dir.«
»Ich dachte wirklich nicht, daß es ein häßliches Ende nehmen würde.« Er drehte sich um, fixierte mich. Mir fiel auf, daß er sich bald mal rasieren mußte, auch sein Haar sah ölig aus. »Was für eine verdammte Schweinerei!«
»Wer hat den Wagen gefunden?«
»Ein Parkranger, der seine übliche Runde gedreht hat. Er sah, daß das Service-Tor offenstand, ging hinüber, um es zu schließen, und dachte dann, er sollte lieber mal nachsehen. An der Stelle unten am Reservoir nehmen die Leute von der Behörde ihre Wasserproben. Sie möchten nicht, daß da jeder hinein kann, um ins Wasser zu pinkeln. Das Schloß an dem Tor war weg. Aber offenbar ist das nicht ungewöhnlich. Manchmal vergessen die Leute von der Behörde auch, das Tor abzuschließen. Es ist so eine Art Dauerbrenner zwischen ihnen
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