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SÄURE

SÄURE

Titel: SÄURE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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ablaufen lassen, so wie man es bei einem See tun könnte. Und vierzig Meter ist so ziemlich das Maximum an Tiefe, das ein Scubataucher erreichen kann, ab da braucht er eine Tiefseeausrüstung. Das heißt hohe Kosten, sehr viel Zeit und minimale Erfolgschancen! Die Leute beim Sheriff waren nicht scharf darauf, das in Auftrag zu geben.«
    »Der Sheriff ist allein dafür zuständig?«
    »Hm. Chickering reichten die Boote und das alles. Die herrschende Meinung war, man solle der Natur ihren Lauf lassen.«
    »Was heißt das?«
    »Warten, bis sie hochkommt.«
    Ich dachte an einen mit Gas gefüllten, eitrigen Klumpen, der zur Oberfläche des Stausees hochstieg. Fragte mich, was für eine Art von Trost mir für Melissa einfallen würde, wenn das geschah. - Was sollte ich ihr sagen, wenn sie aufwachte… »Abgesehen von der herrschenden Meinung«, fuhr ich laut fort, »meinst du, es gibt eine Chance, daß sie aus dem Wagen heraus und zurück an Land gekommen ist?«
    Er warf mir einen erstaunten Blick zu. »Du gehst von deinem Blut-und-Tod-Szenario ab?«
    »Erforsche andere Möglichkeiten.«
    »Wenn ja, wieso hat sie dann nicht einfach am Straßenrand gewartet, bis jemand vorbeikam? Es gibt da draußen zwar nicht sehr viel Verkehr, aber schließlich hätte man sie gefunden.«
    »Vielleicht war sie im Schockzustand, desorientiert, vielleicht hat sie sogar eine Verletzung am Kopf davongetragen, ist losgelaufen und hat das Bewußtsein verloren.«
    »Man hat keine Blutspuren gefunden.«
    »Innere Kopfverletzung, für eine Gehirnerschütterung brauchst du kein Blut.«
    »Ist irgendwohin losgewandert«, sagte er. »Wenn du ein Happy-End suchst, das ist es nicht. Nicht, wenn die Hubschrauber sie nicht verdammt bald finden. Sie ist jetzt über fünfzig Stunden da draußen. Wenn ich mir aussuchen könnte, wie ich zu sterben hätte, würde ich den See wählen.« Er stand wieder auf, ging hin und her. »Kannst du noch mehr Schweinereien ab?« fragte er.
    Ich breitete die Arme aus, strecke den Brustkorb heraus und sagte: »Schieß los!«
    »Es gibt noch mindestens zwei weitere Szenarien, die wir uns noch nicht angeschaut haben. Erstens: Sie hat es bis ans Ufer geschafft, hat an der Straße gewartet, und jemand hat sie mitgenommen, ein Schweinehund!«
    »Psycho-Motorist?«
    »Es ist eine weitere Möglichkeit, Alex: Gutaussehende Frau in nassem Kleid, hilflos. Das würde einem gewissen ›Appetit‹ zusagen, - Gott weiß, wir sehen das oft genug, Frauen gestrandet an der Schnellstraße; gute Samariter, bei denen es sich dann herausstellt, daß sie es nicht sind.«
    Ich schimpfte: »Das ist eine Schweinerei! Niemand verdient es, so viel zu leiden!«
    »Seit wann hat verdienen etwas damit zu tun?«
    »Was ist die zweite Möglichkeit?«
    »Selbstmord. Gautier, der Sheriff, hat es aufgebracht. Gleich nachdem ihr, du und Melissa, weg wart, fing Chickering an, allen zu erklären, daß du ihr Seelenklempner wärst, hat sich dann in einem kleinen Monolog über Ginas Probleme ausgelassen, - schlechte Gene und so, und daß in San Labrador haufenweise Exzentriker lebten. Er mag die Paläste der Reichen bewachen, aber er hat nicht viel für sie übrig. Jedenfalls sagte Gautier, wenn man das alles bedenke, wieso dann nicht Selbstmord? Offenbar sind schon früher Leute ins Reservoir gesprungen. Chickering fand das trefflich.«
    »Was hat Ramp dazu gesagt?«
    »Ramp war nicht dabei, Chickering hat es nicht gewagt, in seiner Gegenwart den Mund so voll zu nehmen. Er wußte nicht mal, daß ich zugehört hatte.«
    »Wo war Ramp?«
    »Oben an der Straße. Er fing an, ganz grün und käsig auszusehen, die Sanitäter haben ihn für ein EKG zur Ambulanz hinaufgebracht.«
    »Ist er okay?«
    »EKG-mäßig ja, aber er sah ziemlich beschissen aus. Als ich abrauschte, waren sie immer noch mit Tee und Sympathie um ihn bemüht.«
    »Hat er das nur gespielt?«
    Er zuckte die Achseln.
    »Nichts gegen Chickerings psychologische Einsichten«, sagte ich, »aber ich glaube nicht an einen Selbstmord. Als ich mich mit ihr unterhalten habe, war von Depressivität keine Spur. Im Gegenteil, sie war optimistisch. Sie hat zwanzig Jahre Schmerzen und Misere hinter sich, genug Zeit, um über einen Selbstmord nachzudenken. Wieso sollte sie sich gerade in dem Augenblick umbringen, in dem sie sich auf ein bißchen Freiheit freut?«
    »Die Freiheit kann einem Angst einjagen.«
    »Vor ein paar Tagen hast du noch gemeint, sie wäre hochgemut wegen ihrer Freiheit nach Vegas gefahren, um sich

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