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SÄURE

SÄURE

Titel: SÄURE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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auszuleben.«
    »Die Dinge ändern sich«, sagte er, dann, »du bringst es doch auch immer wieder fertig, mein Leben zu komplizieren.«
    »Gibt es denn eine bessere Grundlage für eine Freundschaft?«

25
    Wir gingen nach Melissa sehen. Sie lag auf der Seite, mit dem Gesicht zur Sofalehne, die Decke war wie ein enger Kokon um sie herumgewickelt. Madeleine saß am Fußende des Sofas, nur ein kleiner Teil ihres beträchtlichen Gesäßes war in Kontakt mit dem Polster. Sie häkelte etwas Rosafarbenes, Formloses, konzentrierte sich auf ihre Hände. Sie sah auf, als wir eintraten.
    Ich fragte: »Ist sie zwischendurch aufgewacht?«
    »Non, Monsieur.«
    Milo fragte: »Ist Mr. Ramp schon nach Haus gekommen?«
    »Non, Monsieur.« Ihre Finger hörten auf zu arbeiten. Ich fragte: »Warum bringen wir sie nicht zu Bett?«
    »Oui, Monsieur.«
    Ich hob Melissa auf und trug sie treppaufwärts in ihr Zimmer. Madeleine und Milo folgten mir. Madeleine schaltete das Licht an, dämpfte es und zog die Decken von dem Himmelbett ab. Sie verbrachte lange damit, Melissa zuzudecken, zog dann einen Stuhl ans Bett und nahm Platz. Sie fuhr mit der Hand in die Tasche ihres Morgenrocks, zog ihr Häkelzeug heraus und legte es auf ihren Schoß. Sie saß unbeweglich da, bemüht, nicht zu schaukeln.
    Melissa veränderte ihre Position unter der Decke, bewegte sich wieder herum, so daß sie auf dem Rücken lag. Ihr Mund war offen und ihr Atem langsam und regelmäßig.
    Milo sah einen Augenblick lang zu, wie die Steppdecke sich hob und senkte und sagte dann: »Ich muß los. Wie ist es mit dir?«
    Ich erinnerte mich an die nächtlichen Ängste eines kleinen Kindes und sagte: »Ich bleibe noch eine Weile hier.« Milo nickte.
    »Ich bleibe auch«, sagte Madeleine. Sie nahm ihr Garn, schlug es um die Häkelnadel und fing wieder an zu häkeln.
    »Gut«, sagte ich zu ihr, »ich bin unten. Rufen Sie mich, wenn sie aufwacht.«
    »Oui, Monsieur.«
    Ich setzte mich in einen der dicken Sessel und dachte über Dinge nach, um mich wachzuhalten. Das letztemal, als ich auf die Uhr sah, war es kurz nach eins. Ich schlief ein, immer noch sitzend, und wachte steif und mit einem Wattegefühl im Mund auf, meine Arme waren tätowiert.
    Betäubt und verwirrt fuhr ich hoch. Die Tätowierung bewegte sich kaleidoskopartig weiter. Leuchtend blaue, rote, smaragdene und bernsteinfarbene Flecke. Sonnenlicht fiel durch die Spitzenvorhänge, von buntem Fensterglas gefärbt. Sonntag - ich kam mir wie ein Frevler vor, als wäre ich in einer Kirche eingeschlafen. Zwanzig nach sieben. Das Haus war vollkommen still. Über Nacht hatte sich ein schaler Geruch ausgebreitet. Oder vielleicht war er schon vorher dagewesen.
    Ich rieb mir die Augen und versuchte einen klaren Kopf zu bekommen. Stand auf, was ein bißchen schmerzhaft war, strich meine Kleidung glatt, fuhr mir mit der Hand über mein stoppeliges Gesicht und streckte mich so lange, bis mir klar war, daß der Schmerz nicht so einfach verschwinden würde. In einer Gästetoilette nahe dem Vestibül spritzte ich mir Wasser ins Gesicht, massierte die Kopfhaut und stieg die Treppe hinauf.
    Melissa schlief immer noch. Ihr Haar lag ausgebreitet auf dem Kopfkissen, zu perfekt arrangiert, als daß es Zufall sein konnte. Es erinnerte mich an ein viktorianisches Begräbnisphoto. Engelhafte Kinder in mit Spitzen geschmückten Särgen.
    Ich verdrängte das Bild und lächelte Madeleine an. Das rosa Ding, das sie in den Händen hielt, war immer noch formlos, aber es hatte sich etwa um einen Meter verlängert. Ich fragte mich, ob sie überhaupt geschlafen hatte. Ihre Füße waren nackt, größer als meine. Ein Paar Cordsamtpantoffeln stand ordentlich beisammen am Fuße des Schaukelstuhls. Daneben ein Telefon, das sie von Melissas Nachttisch entfernt hatte.
    Ich grüßte: »Bonjour.«
    Sie sah auf, klaren Blickes, aber grimmig, fing an schneller mit ihren Nadeln zu arbeiten.
    »Monsieur«, sie bückte sich und stellte das Telefon zurück an seinen Platz.
    »Ist Mr. Ramp nach Haus gekommen?«
    Ein Blick auf Melissa, Kopfschütteln. Die Bewegung ließ den Schaukelstuhl knarren.
    Melissa schlug die Augen auf.
    Madeleine warf mir einen anklagenden Blick zu.
    Ich näherte mich dem Bett.
    Madeleine fing zu schaukeln an. Der Schaukelstuhl beklagte sich lauter.
    Melissa sah zu mir auf.
    Ich lächelte ihr zu, hoffte, daß es nicht zu greulich aussah. Sie machte große Augen, bewegte die Lippen, schien zu kämpfen.
    »Morgen«, sagte ich.
    »Ich - was -« Ihre

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