SÄURE
gekannt?«
»Nicht so gut eigentlich. Ich habe alle paar Wochen ihre Wagen gewaschen. Manchmal ist sie heruntergekommen, um nachzusehen. Aber in Wahrheit hat sie sich nicht soviel daraus gemacht. Einmal habe ich etwas darüber gesagt, wie toll sie wären, und sie meinte nur, ja, wahrscheinlich, aber für sie wären sie nur Metall und Gummi. Dann hat sie sich richtiggehend entschuldigt, weil ihre Bemerkung aber keine herabsetzende Bemerkung über meine Arbeit sein sollte. Ich fand sie wirklich nett. Vielleicht ein bißchen distanziert. Ich fand, wie sie so lebte, das war - Melissa und ich haben immer - ich schätze, ich hätte mehr Mitgefühl aufbringen sollen. Wenn Melissa sich daran erinnert, wird sie wahrscheinlich einen Haß auf mich kriegen.«
»Melissa wird sich an Ihre Freundschaft erinnern.«
Er schwieg eine Zeitlang. Dann: »Es ist vielleicht sogar mehr gewesen als Freundschaft, jedenfalls aus meiner Sicht. Wie es für sie war, kann ich natürlich nicht beurteilen.« Er sah mich an, als bettelte er um gute Nachrichten.
Das Höchste, was ich ihm anbieten konnte, war ein Lächeln.
Er zupfte an seiner Nagelhaut, biß darauf. »Toll, hier rede ich über mich, während ich an Melissa denken sollte. Ich glaube, ich muß jetzt los, Mr. Ramps Koffer packen. Glauben Sie, er meint es ernst und geht wirklich weg?«
»Sie wissen das wahrscheinlich besser als ich.«
»Ich weiß gar nichts«, sagte er schnell.
»Er und Melissa scheinen sich nicht zum Zusammenleben in einer glücklichen Familie zu eignen.«
Er überhörte das, hob den Rucksack auf und streckte die Hand nach dem Türgriff aus. »Also, ich muß los!«
»Wollen Sie mitfahren?« fragte ich.
»Nein, danke, hab’ meinen eigenen Wagen, den Celica da hinten.« Er öffnete die Tür, stellte einen Fuß auf die Bordsteinkante, hielt an, wandte sich mir wieder zu. »Was ich Sie von Anfang an fragen wollte: Gibt es irgend etwas, das ich tun sollte, um ihr zu helfen?«
»Seien Sie für sie da, wenn sie Gesellschaft braucht«, sagte ich. »Hören Sie ihr zu, wenn sie etwas sagt, aber machen Sie sich keine Sorgen und seien Sie nicht verletzt, wenn sie nicht reden will. Haben Sie Geduld, wenn sie aufbraust, lassen Sie sie nicht allein und sagen Sie ihr nicht, alles wäre in Ordnung, wenn es das nicht ist. Es ist etwas Schlimmes geschehen, Sie können es nicht ändern.«
Er sah mich an, während ich ihm das sagte, und nickte. Er hatte eine enorme Konzentrationsfähigkeit, geradezu unheimlich. Ich hätte mich kaum gewundert, wenn er Papier und einen Stift gezückt und mitgeschrieben hätte.
»Auch«, fuhr ich fort, »würde ich an Ihren eigenen Plänen keine drastischen Veränderungen vornehmen. Sobald Melissa den ersten Schock überwunden hat, muß sie ihr Leben in Ordnung bringen. Wenn Sie ihr eigenes Leben Melissas wegen aufschieben würden, könnte es sein, daß sie noch mehr aufbraust. Selbst wenn Sie das gar nicht wollen, verpflichten Sie sie Ihnen gegenüber. Sie schaffen damit eine Schuld. In diesem Augenblick ist jedoch für Melissa Unabhängigkeit von entscheidender Bedeutung, trotz dessen, was geschehen ist. Sie braucht nicht noch eine weitere Bürde. Könnte sein, daß ihr das später leid täte.«
Er sagte: »Ich habe nie…« Er hob den Rucksack hoch, ließ ihn fallen, sah darauf hinab. Er war vollgepackt, das Segeltuch straff gespannt. Er landete mit einem dumpfen Laut auf seinem Knie.
Ich fragte: »Bücher?«
»Collegehefte, etwas von dem Material, das ich eigentlich diesen Herbst lesen wollte. Ich wollte früh damit anfangen, - das erste Jahr ist wirklich hart. Ich schleppe sie überall mit herum, aber ich hab’ noch nicht eine Zeile gelesen.« Verlegenes Lächeln. »Irgendwie albern, was?«
»Scheint mir eine gute Planung zu sein.«
»Wie auch immer«, sagte er, »ich fühle mich einfach verpflichtet, Überdurchschnittliches zu leisten, wenn ich hingehe.«
»Wem gegenüber verpflichtet?«
»Meiner Mutter gegenüber und Don - Mr. Ramp. Er zahlt, was mir noch an Studiengebühren fehlt während der ersten beiden Jahre, das sind die anderen Dollars, die ich erwähnt habe. Wenn ich in den ersten beiden Jahren Spitzenleistungen bringe, bekomme ich wahrscheinlich ein Stipendium.«
»Er hält offensichtlich viel von Ihnen.«
»Ach«, sagte er wegwerfend, »der Gedanke, daß wir vorankommen, Mom und ich, gibt ihm ein gutes Gefühl. Er hat sie eingestellt, als wir - als wir nicht wußten, wie wir klarkommen sollten.« Ein kurzer Ausdruck von
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