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SÄURE

SÄURE

Titel: SÄURE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Schmerz im Gesicht, ein mattes Lächeln zur Kompensation. »Hat uns eine Wohnung gegeben, der erste Stock über dem Restaurant ist unsere Wohnung. Das war keine Wohltätigkeit, Mom hat es sich verdient. Die beste Bedienung, die man sich überhaupt vorstellen kann. Wenn er nicht da ist, schmeißt sie praktisch den ganzen Laden, manchmal kocht sie sogar. Aber er ist auch so ungefähr der beste Boß, den man sich vorstellen kann, er hat mir den Celica bezahlt, zusätzlich zu meinem Bonus. Hat mir den Job in Melissas Haus besorgt.«
    »Melissa scheint Ihre Gefühle ihm gegenüber nicht zu teilen.«
    Er streckte die Hand nach der Tür aus, machte ein resigniertes Gesicht und ließ den Arm herabfallen. »Sie hat ihn mal gemocht. Als sie mal bei uns eingeladen war, haben die beiden immer geredet, und er hat ihr Kindercocktails serviert. Sie hat ihn mit ihrer Mom zusammengebracht. Der Ärger ging erst los, als es ernst wurde. Ich wollte ihr das immer sagen: Daß er sich gar nicht geändert hat, er war genau derselbe Mann, aber sie hat ihn seitdem anders gesehen, aber…«, er lächelte matt.
    »Aber was?«
    »Man kann Melissa so etwas gar nicht sagen. Sie setzt sich etwas in den Kopf, und dabei bleibt es, nicht, daß das ein schrecklicher Fehler wäre. Die meisten Jugendlichen sind Wischiwaschi, machen sich nichts aus Idealen. Sie bleibt bei ihren Prinzipien. Sich anzupassen oder Gedanken aufzugreifen, bloß weil alle anderen auch so denken, das liegt ihr nicht.
    Zum Beispiel Drogen, ich wußte immer, wie schlecht sie sind, weil ich - weil ich soviel darüber gelesen habe. Aber bei jemandem wie Melissa könnte man annehmen, daß sie dafür empfänglich wäre, weil sie beliebt ist, gut aussieht und eine Menge Geld hat. Aber sie hat das nie gemacht. Sie hat sich nie herumkriegen lassen.«
    »Beliebt?« fragte ich. »Sie hat mir gegenüber nie irgendwelche Freunde außer Ihnen erwähnt; und ich habe auch keine vorbeikommen sehen.«
    »Sie ist wählerisch, aber jeder mag sie. Sie hätte Cheerleaderin werden, in die besten Clubs einsteigen können, aber sie hatte andere Dinge im Kopf.«
    »Was zum Beispiel?«
    »Hauptsächlich ihre Ausbildung.«
    »Was noch?«
    Er zögerte, fuhr dann fort: »Ihre Mom, - es war, als ob es ihr hauptsächlicher Job im Leben wäre, ihre Tochter zu sein. Sie hat mir mal erzählt, sie hätte das Gefühl, sie würde sich immer um ihre Mutter kümmern müssen. Ich versuchte sie zu überzeugen, daß das nicht richtig wäre. Aber da wurde sie wütend, sagte mir, ich wüßte ja nicht, wie das sei. Ich habe ihr nicht widersprochen. Ich hätte sie nur noch wütender gemacht, und ich mag es wirklich nicht, wenn sie sich aufregt.« Er ging weg, bevor ich etwas dazu sagen konnte. Ich sah ihn die Absperrkette zum Parkplatz hochheben, in den Toyota steigen und losfahren. Mit beiden Händen auf dem Lenkrad.
    ›Dieser Junge wird es weit bringen.‹ Höflich, ehrerbietig, fleißig, so ernst, daß es fast peinlich war. In mancher Hinsicht Melissas Gegenstück, aber ihr spiritueller Bruder. Ich konnte nachvollziehen, daß sie einander mühelos verstanden.
    Hinderte sie das, ihn so zu sehen, wie er es sich von ihr wünschte? Ein guter Junge, - zu gut, um wahr zu sein?
    Bei meinem Gespräch mit ihm hatte meine Therapeutenantenne Signale registriert, obwohl ich nicht sicher war, weshalb. Oder füllte ich nur meinen Kopf mit Verdächtigungen, um der Realität aus dem Weg zu gehen? Wir hatten das Thema fast nicht berührt.
    Ich startete den Seville, fuhr los und rollte über die Stadtgrenze nach San Labrador.
    Melissa war wach, aber sie redete nicht. Sie lag auf dem Rücken, den Kopf auf drei Kissen gestützt. Ihr Haar war zu einem Zopf geflochten, ihre Augenlider waren geschwollen. Noel saß neben ihr in dem Schaukelstuhl, in dem vor einer Stunde noch Madeleine gesessen hatte, und hielt ihre Hand.
    Madeleine trug wieder ihre Haushälterinnenuniform, wobei sie sich wie eine Hafenbarkasse durch den Raum bewegte, dockte an Möbelstücken an, wischte Staub, rückte gerade, öffnete und schloß Schubladen. Auf dem Nachttisch stand eine Schale mit Haferflocken, die zu Mörtel erstarrt waren. Die Vorhänge waren zugezogen und wehrten das grelle mittägliche Sonnenlicht ab.
    Ich lehnte mich an einen Pfosten des Himmelbettes und sagte hallo. Melissa begrüßte mich mit einem matten Lächeln. Ich drückte die Hand, die Noel nicht beanspruchte, fragte sie, ob ich etwas für sie tun könne.
    Kopf schütteln. Sie sah wieder wie neun

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