SÄURE
ihr Buch über Pestizide ist sie über ein Jahr lang im ganzen Land herumgereist. Wir haben nie etwas von ihr gehört, außer wenn sie Geld brauchte. Statt ihre Schulden zu bezahlen, gab sie uns ein signiertes Exemplar ihres Buches. Mein Mann ist Industrieanwalt, er arbeitet auch für Chemieunternehmen. Sie können sich wohl vorstellen, wie ihm das geschmeckt hat. Ein paar Jahre davor war sie in San Salvador, irgendwelche Nachforschungen, alles streng geheim. Sechs Monate lang war sie weg, kein Anruf, nicht mal eine Postkarte. Meine Mutter hat eine wahnsinnige Angst ausgestanden, und wir haben noch nicht mal feststellen können, daß eine Story dabei herausgekommen ist. Also nein, es kümmert mich nicht. Sie ist hinter irgendeiner neuen Intrige her.«
»Was für Intrigen interessieren sie denn im allgemeinen?«
»Alles, was irgendwie nach einer Verschwörung riecht. Sie sieht sich in der Rolle einer Reporterin, die irgendwelche Skandale aufdeckt. In ihren Augen ist der Mord an Kennedy noch immer ein spannendes Gesprächsthema.«
Pause. Der Fernseher lärmte im Haus. Sie fuhr sich mit einer harten Bewegung übers Haar. »Es ist lächerlich. Ich kenne Sie nicht einmal. Ich sollte mich nicht mit Ihnen unterhalten - Falls ich wider Erwarten bald von ihr hören sollte, werde ich ihr sagen, daß Sie mit ihr sprechen wollen. Wo ist Ihre Praxis?«
»Westside«, sagte ich, »haben Sie eine neuere Adresse von ihr?«
Sie überlegte einen Augenblick lang. »Sicher, wieso nicht? Wenn sie meine Adresse herausgeben kann, kann ich ihre auch herausgeben.«
Ich zog einen Stift hervor und schrieb, indem ich mein Knie als Unterlage benutzte, auf die Rückseite einer Visitenkarte, was sie herunterrasselte - eine Adresse an der Hilldale Avenue.
»Das ist West-Hollywood«, sagte sie, »mehr in Ihrer Nähe.« Sie stand da, als erwarte sie, daß ich auf diese Herausforderung etwas Entsprechendes erwiderte.
Ich sagte: »Danke. Tut mir leid, daß ich Sie belästigt habe.«
»Schon gut«, sagte sie und sah wieder zu dem Lieferwagen hinüber. »Ich weiß, daß das hartherzig klingt, was ich sage. Ich habe so lange versucht ihr zu helfen, aber sie geht jetzt ihren eigenen Weg, ganz gleich, wen sie dabei -« Sie berührte ihren Mund, als wolle sie den Rest mit Gewalt zurückhalten. »Wir sind verschieden, das ist alles. Vive la difference - ihr Psychologen glaubt doch daran, oder?«
28
Um Viertel nach vier war ich wieder am Sussex Knoll. Vor der Nr. 10 parkte Noels Celica und außerdem ein brauner Mercedes-Zweisitzer mit einem Aufkleber auf der hinteren Stoßstange, auf dem Dodger Blue stand, sowie einer Autotelefonantenne hinten auf dem Dach. Madeleine öffnete mir die Tür. »Wie geht es ihr?«
»Sie ist oben, Monsieur. Sie ißt gerade etwas Suppe.«
»Hat Mr. Sturgis angerufen?«
»Non. Aber andere…«, sie deutete mit dem Kopf zum vorderen Raum hin und verzog die Lippen voller Verachtung. Eine Geste wie unter Verschwörern, - ich gehörte jetzt dazu. Sie sagte: »Sie warten.«
»Auf wen?«
Sie zuckte die Achseln.
Wir gingen zusammen durch das Vestibül. Als wir in den vorderen Raum kamen, schwenkte sie zum rückwärtigen Teil des Hauses weiter.
Glenn Anger und ein untersetzter, kahlköpfiger Mann von Mitte Fünfzig saßen in den Klubsesseln, die Beine übergeschlagen, mit gelangweilten Gesichtern. Als ich ein, zwei Meter von ihnen entfernt war, erhoben sie sich und knöpften ihre Jacketts zu. »Nun«, sagte Anger, »ich nehme an, Ihre Arbeit hier ist zu Ende.« Er sah grimmig und zufrieden aus. Zu dem kahlköpfigen Mann: »Das ist einer der Detektive, die mit der Suche nach Gina beauftragt gewesen sind, Jim.«
»Nicht genau«, sagte ich, »ich heiße Alex Delaware. Ich bin Melissas Psychologe.«
Anger wirkte verblüfft, dann beinahe eingeschnappt.
Ich sagte: »Mr. Sturgis, der Detektiv, ist ein Freund von mir. Ich habe die Familienangehörigen an ihn verwiesen. Ich war mit ihm zusammen, als wir Sie in Ihrem Büro besucht haben.«
»Ah ja. Nun, das ist -«
»Tut mir leid, das nicht deutlich gemacht zu haben, aber angesichts der Dringlichkeit in jenem Augenblick schien es nicht so wichtig zu sein.«
»Nein«, sagte Anger, »ich nehme an, daß es das auch nicht war.«
Der kahlköpfige Mann räusperte sich.
Anger sagte: »Doktor, - Sie sind Dr. Delaware?«
Ich nickte.
»Doktor, darf ich Ihnen Jim Douse vorstellen, Ginas Anwalt?«
Nur eine Seite von Douses Mund verzog sich zu einem Lächeln. Er schüttelte meine Hand,
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