SÄURE
Erde. Während ich im Verteilerkreuz nahe der City im Stau stand, hörte ich die Gipsy Kings und versuchte nicht darüber nachzudenken, ob ich Mist gebaut hatte; fand jedoch, daß ich mein Bestes getan hatte.
Als ich heimkam, rief ich Milo an. Er hob ab und brummte: »Ja?«
»Himmel, was für eine freundliche Begrüßung!«
»So halt ich mir die Schleimer und Ausfrager vom Hals, die mich anmachen wollen. Was gibt’s Neues?«
»Bereit zur Arbeit an der Exknacki-Sache?«
»Ja, ich hab’ drüber nachgedacht, schätze fünfzig die Stunde plus Unkosten sind ein vernünftiger Preis. Ist das deiner Klientin genehm?«
»Ich hatte noch keine Gelegenheit, über die finanziellen Einzelheiten zu sprechen, aber ich würde mir keine Sorgen machen, es herrscht diesbezüglich kein Mangel. Und die Klientin sagt, sie hätte vollen Zugang.«
»Wieso denn auch nicht?«
»Sie ist erst achtzehn und…«
»Du willst, daß ich für die Tochter selbst arbeite, Alex? Himmel, von wie vielen Sparschweinen sprechen wir?«
»Sie ist kein alberner Teenager, Milo, sie war gezwungen, schnell erwachsen zu werden - zu schnell. Und sie hat ihr eigenes Geld, sie hat mir selbst versichert, die Bezahlung wäre kein Problem. Ich muß nur sicher sein, daß sie genau weiß, was auf sie zukommt. Ich wollte es heute klären, aber es ist etwas dazwischengekommen.«
»Die Kleine selbst«, sagte er, »sehe ich so aus oder was?«
»Also«, sagte ich, »stell dich nicht so an!«
Er schimpfte wieder: »Himmel«, dann, »erzähl mir mehr darüber! Wer genau hat Schaden genommen, und was war das für ein Schaden?«
Ich begann, von dem Salzsäureattentat auf Gina Ramp zu erzählen.
Er sagte: »Whow! Klingt wie der McCloskey-Fall.«
»Du kennst ihn?«
»Ich weiß davon. Es war ein paar Jahre vor meiner Zeit, aber er diente als Modellfall beim Unterricht in der Akademie - Verhörverfahren.«
»Irgendein besonderer Grund?«
»Wegen der Verrücktheit des Falles. Und der Bulle, der den Unterricht gab, Eli Savage, war einer der Leute, die den Kerl verhört haben.«
»Inwiefern ein verrückter Fall?«
»In bezug auf das Motiv. Bullen versuchen, wie alle anderen Leute auch, die Dinge zu klassifizieren, auf ein paar Grundmuster zu reduzieren: Geld, Eifersucht, Rache, Leidenschaft, - irgendeine besondere Art von sexueller Macke trifft auf neunundneunzig Prozent aller Gewaltverbrechen als Motiv zu. Dieser Fall paßte auf nichts von alledem. Soweit ich mich erinnere, wurde nur damals folgendes erklärt: McCloskey und das Opfer hatten einmal etwas miteinander gehabt, aber das endete friedlich ein halbes Jahr, bevor er ihr die Salzsäure ins Gesicht schütten ließ. Er hatte sich nicht vor Sehnsucht nach ihr verzehrt, ihr keine giftigen oder verzehrenden Liebesbriefe geschrieben, keine anonymen Anrufe losgelassen oder eine der Quälereien angefangen, wie man sie in Situationen unerwiderter Liebesleidenschaft typischerweise erlebt. Und sie ging auch nicht mit anderen Knaben aus, also schien Eifersucht nicht in Frage zu kommen. Geld war kein stichhaltiges Motiv, weil er keine Versicherung auf sie abgeschlossen hatte. Niemand konnte irgendeine Möglichkeit entdecken, wie er einen Dime an dem Attentat hätte verdienen können, und er hat sogar eine ganze Menge gezahlt, dem Lumpen, der die dreckige Arbeit getan hat. In Sachen Rache gab es die vage Theorie, er hätte ihr vorgeworfen, sie wäre schuld, daß sein Geschäft pleite ging, ich glaube, er hatte eine Modellagentur.«
»Ich bin beeindruckt.«
»Keine Ursache. So einen Fall vergißt man nicht. Ich erinnere mich, daß sie uns Photos von ihrem Gesicht gezeigt haben. Vorher, nachher und während -, sie ist unzählige Male operiert worden. Es war eine richtige Sauerei. Ich hab’ mich immer gefragt, wie ein Mensch einem anderen so etwas antun konnte. Jetzt weiß ich es natürlich besser, aber damals, das waren die Tage meiner süßen Unschuld. Jedenfalls, was das Geldmotiv anging, stellte sich heraus, daß sie auch mit der Pleite seiner Agentur nichts zu tun hatte. McCloskey war wegen Alkohol und sehr harten Drogenkonsums ins Schleudern gekommen, er hat das während der Vernehmungen selbst ausdrücklich klargemacht, hat den Detektiven andauernd erzählt, er hätte sein Leben vermasselt und sie angefleht, ihn von seinem Elend zu erlösen, wollte, daß alle es wußten: Sein Attentatsauftrag hatte nichts mit seinem Geschäft zu tun.«
»Womit hatte er denn zu tun?«
»Das ist das große Fragezeichen. Er hat sich
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