SÄURE
sich so einem Knastpsychologen anvertraut. Aber wenn nicht, heißt das, daß er ein Heimlichtuer ist. Das heißt vorsichtig sein, und da werde ich hellwach. Weißt du, wenn ich nicht so ein Macho, so ein unbesiegbarer Held wäre, dann würde mir das verdammt Angst einjagen.«
12
Nachdem er aufgelegt hatte, dachte ich daran, in San Labrador anzurufen, kam dann aber zu dem Schluß, daß Melissa und Gina die Sache selbst regeln sollten. Ich ging zum Teich, warf den Koi-Fischen Futter hinein und beobachtete sie. Sie waren heute aktiver als gewöhnlich, sie jagten einander. Die Männchen jagten die Weibchen, stellte ich überrascht fest. Laich hing wie glänzende Trauben an den Schwertlilien, die am Rande des Teiches wuchsen. - Zum erstenmal in all den Jahren, in denen ich den Teich hatte.
Danach ging ich wieder hinein, um mir mein Abendessen vorzubereiten: gegrilltes Steak á la minute, Salat und ein Bier. Ich aß im Bett, während ich gedankenverloren einer CD mit Mozartinterpretationen von Perlman und Zuckerman lauschte. Zum größtenteil verlor ich mich in der Musik, nur ein kleiner Teil meines Bewußtseins blieb wach, wartete auf einen Anruf aus San Labrador.
Das Konzert endete, kein Anruf. Eine zweite Disk legte los: Stan Getz und Charlie Byrd. - Brasilianische Rhythmen halfen auch nicht. Das Telefon blieb stumm.
Ich machte mir Gedanken über Joel McCloskey, der offenbar bereute, aber seine Beweggründe für sich behielt, an Gina Paddock und wie er ihr Leben ruiniert, sichtbare und andere Narben hinterlassen hatte.
Impulsiv, ohne es durchzudenken, rief ich San Antonio, Texas, an.
Eine nasale Frauenstimme meldete sich: »Hallo?«
Ich hörte Fernsehgeräusche im Hintergrund, dem Klang nach eine Unterhaltungssendung. Die Stiefmutter.
Ich sagte: »Hallo, Mrs. Overstreet. Hier ist Alex Delaware, ich rufe aus Los Angeles an.«
Ein Augenblick Stille. »Hm - hi, Doc, wie geht’s Ihnen?«
»Gut, und Ihnen?«
Ein Seufzer, der fast so lang war, daß ich das Alphabet hätte hersagen können. »So gut es den Umständen nach möglich ist.«
»Wie geht es Mr. Overstreet?«
»Nun, wir beten und hoffen alle das Beste, Doc. Wie sieht’s bei Ihnen in L.A. aus? Bin seit Jahren nicht mehr da gewesen. Ich bin überzeugt, alles ist größer, schneller, lauter und was nicht alles - so geht das Leben eben immer weiter, nicht? Sie sollten Dallas und Houston sehen und auch, wie’s bei uns hier ist, obwohl hier unten noch nicht ganz so viel los ist. Bei uns hier dauert’s noch eine Weile, bis es ganz schlimm wird.«
Ich bejahte: »Das Leben geht weiter.«
»Wenn Sie Glück haben, ja.« Seufzen, »aber wie auch immer, genug philosophiert, das hilft gar nichts und niemandem. Ich nehme an, Sie möchten mit Linda sprechen.«
»Wenn sie da ist.«
»Ja, sie ist da. Das arme Ding geht nie aus dem Haus. Obwohl ich ihr sage, es ist nicht normal für ein Mädchen in ihrem Alter, immer nur herumzusitzen, Krankenschwester zu spielen und düstere Gedanken zu hegen. Das heißt nicht, daß sie jede Nacht losziehen und Highlife machen soll, während ihr Daddy in dem Zustand ist und man nicht weiß, was jeden Augenblick passieren kann. Also traut sie sich nicht, etwas zu unternehmen aus Angst, daß sie’s später bereuen könnte, verstehen Sie? Aber daß sie immer nur herumhockt, daraus kann ja für niemanden was Gutes entstehen. Vor allem für sie selbst nicht. Wenn Sie verstehen, was ich sagen will.«
»Hmhm.«
»Man muß das so sehen: Tapiokapudding, der nicht gegessen wird, entwickelt eine Haut und wird hart und krustig an den Rändern, und bald ist er für niemanden mehr gut. Bei einer Frau ist das genauso. Das ist so wahr wie der Fahneneid, glauben Sie mir.«
»Hmhm.«
»Jedenfalls, ich hol’ sie her, sag ihr, daß Sie von weither anrufen.« Klick.
»Liinda! Liinda, es ist für dich! Linda, Te-le-fon! Er ist dran, Linda, du weißt schon, Mädel, beeil dich, es ist ein Ferngespräch!«
Schritte, dann ein gequälte Stimme: »Laß mich von einem anderen Zimmer aus sprechen.«
Einen Augenblick darauf: »Okay - Moment - ich bin dran. Leg auf, Dolores.« Sie zögert, »Hallo, Alex.«
»Hallo.«
»Dieses Weib! Wieviel Ohr hat sie dir schon abgefressen?«
»Laß mich sehen«, sagte ich, »ein Teil vom Ohrläppchen ist ab.«
Sie lachte, aber es klang gezwungen. »Es ist erstaunlich, daß an meinem noch was dran ist. Ich wundere mich, daß Daddy nicht… Also, wie geht es dir?«
»Gut, wie geht es ihm?«
»Mal besser, mal
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