SÄURE
offenem Mund, bemüht, ihre Atmung zu verlangsamen. Sie schloß die Augen, öffnete sie, sah mich an und schloß sie wieder. Auf ihrem Gesicht stand Schweiß.
Ich berührte ihre Hand. Als Antwort drückte sie meine schwach. Ihre Haut war kalt und feucht. Wir saßen zusammen, ohne uns zu bewegen oder zu sprechen.
Sie versuchte etwas zu sagen, aber es gelang ihr nicht. Sie lehnte den Kopf gegen die Rückenlehne der Couch und starrte zur Decke empor. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Das war ein kleiner Anfall«, sagte sie schließlich mit schwacher Stimme. »Ich habe ihn in den Griff bekommen.«
»Ja, das haben Sie.«
Sie hielt den Inhalator noch immer in der Hand. Sie betrachtete ihn, dann ließ sie ihn zurück in die Tasche gleiten. Sie beugte sich vor, nahm meine Hand, drückte sie erneut und atmete lange aus.
Wir saßen so nah beieinander, daß ich ihr Herz schlagen hörte. Aber ich horchte - auf andere Geräusche oder Schritte, dachte an Melissa, daß sie zurückkam und uns so sah. Als ihre Hand erschlaffte, ließ ich sie los. Es dauerte noch ein paar Minuten, bis ihr Atem wieder normal wurde.
Ich fragte: »Soll ich jemanden rufen?«
»Nein, nein, mir geht es gut.« Sie klopfte auf ihre Tasche.
»Was ist in dem Inhalator?«
»Muskelrelaxant, Ursula und Dr. Gabney haben Forschungen darüber angestellt. Er ist sehr wirkungsvoll, für kurze Zeit.« Ihr Gesicht war schweißgebadet, ihr Pony klebte an ihren Augenbrauen, ihre schlimme Gesichtshälfte war wie aufgebläht. Sie stöhnte: »Phuh!«
Ich fragte: »Kann ich Ihnen etwas Wasser holen?«
»Nein, nein, ich bin gleich wieder in Ordnung, wirklich. Es sieht schlimmer aus, als es ist. Das war ein kleiner Anfall - der erste seit - vier Wochen…, ich…«
»Es war eine harte Konfrontation.«
Sie legte die Hand auf den Mund. »Melissa!« Sie sprang auf und rannte aus dem Zimmer.
Ich folgte ihrer schmalen Gestalt durch einen der dunklen Korridore zu einer nach hinten gelegenen Wendeltreppe. Ich blieb ihr dicht auf den Fersen, um mich in dem riesigen Haus nicht zu verlaufen.
11
Die Wendeltreppe endete unten auf einem kleinen Korridor gleich neben einer Speisekammer von der Größe meines Wohnzimmers. Wir gingen hindurch und kamen durch eine Küche, die so groß wie ein Bankettsaal war.
Gina Ramp führte mich an einer zweiten, kleineren Küche und an einem Raum vorbei, in dem das Silber aufbewahrt wurde, in einen riesigen getäfelten Speisesaal. Sie blickte sich hektisch um und rief laut Melissas Namen.
Keine Antwort.
Wir kehrten um, und Gina führte mich in den Raum mit den bemalten Deckenbalken. Zwei Männer in Tenniskleidung kamen soeben durch die Terrassentüren, sie hielten noch ihre Tennisschläger in der Hand und hatten Handtücher um den Hals gelegt. Beide waren groß und gut gebaut.
Der jüngere war Mitte Zwanzig, mit dichtem, zotteligem blondem Haar.
Der ältere Mann - ich schätzte ihn auf Anfang Fünfzig - war von kräftiger Statur. Mit hochgezogenen Augenbrauen wandte er sich uns zu: »Gina? Was ist los?« Seine Stimme vibrierte angenehm, es war die Art, die freundlicher scheint, als sie ist.
»Hast du Melissa gesehen, Don?«
»Sie ist mit Noel weg -«
»Mit Noel?«
»Er putzte gerade die Wagen, als sie wie von einer Tarantel gestochen angerannt kam. Sie sagte etwas zu ihm, und die beiden fuhren weg, im Corvette. Stimmt etwas nicht, Geen?«
»Ach.« Gina sackte zusammen.
Der Mann mit dem Schnauzbart legte ihr den Arm um die Schulter und warf mir noch einen weiteren fragenden Blick zu. »Was ist denn?«
Gina zwang sich zu einem Lächeln und schüttelte ihr Haar. »Es ist nichts, Don. Nur ein -, das ist Dr. Delaware, der Psychologe, von dem ich dir erzählt habe. Er und ich, wir wollten uns mit Melissa über das College unterhalten, aber sie hat sich aufgeregt. Ich bin sicher, das gibt sich wieder.«
Er hielt ihren Arm, stark und schweigend - wieder jemand, der für die Kamera geboren war…
Gina sagte: »Doktor, das ist mein Mann, Donald Ramp. Don, Dr. Alex Delaware.«
»Erfreut, Sie kennenzulernen.« Ramp streckte eine große, harte Hand aus, und wir begrüßten uns. Der jüngere Mann hatte sich in eine Ecke des Raums zurückgezogen. Ramp fuhr fort: »Sie können noch nicht allzu weit sein, Geen. Wenn du möchtest, fahre ich hinterher. Vielleicht kann ich sie ja zurückschleppen.«
Gina sagte: »Nein, es ist schon gut, Don.« Sie berührte seine Wange. »Das ist der Preis, den man zahlen muß, wenn man mit einem Teenager
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