SÄURE
Licht einer Taschenlampe über die Oberfläche des Teiches gleiten, um nach den Fischen zu sehen.
Plötzlich hörte ich das Telefon. Endlich Nachrichten aus San Labrador! Mutter und Tochter hatten nun hoffentlich angefangen, miteinander zu reden. Ich stürmte die Treppe zum Haus hinauf und erwischte das Telefon nach dem fünften Läuten. »Hallo!«
»Alex?« Ich kannte die Stimme. Wenngleich ich sie lange nicht mehr gehört hatte. Diesmal überschlugen sich die Bilder wie Erdnüsse aus dem Automaten. »Hallo, Robin.«
»Du klingst ja ganz außer Atem, ist alles in Ordnung?«
»Mir geht’s gut, ich bin nur gerade vom Garten hereingehechtet.«
»Hoffentlich störe ich dich nicht.«
»Nein, nein, was ist los?«
»Nichts Besonderes, wollte nur guten Tag sagen.« Ihrer Stimme fehlte irgendwie der Elan, vielleicht lag es aber auch daran, daß ich mich längere Zeit nicht näher mit ihr beschäftigt hatte.
»Na, wie ist es dir ergangen?«
»Prächtig! Ich arbeite an einer Gitarre für Joni Mitchell. Sie will sie für ihr nächstes Album haben.«
»Phantastisch.«
»Es ist eine Menge Arbeit, aber die Aufgabe reizt mich sehr. Was hast du so gemacht?«
»Gearbeitet.«
»Das ist gut, Alex.«
Genau dasselbe hatte Linda gesagt, genau dieselbe Betonung - Ausdruck einer protestantischen Arbeitsethik, oder hatte es mit mir persönlich zu tun?
Ich fragte: »Was macht Dennis?«
»Er ist weg, auf und davon.«
»Oh!«
»Es ist gut so, Alex. Es hatte schon lange gebrodelt, - nun gibt es keine großen Erschütterungen.«
»Na, dann.«
»Ich versuche nicht die eiserne Jungfrau zu spielen, Alex, und so zu tun, als hätte es mich nicht getroffen. Am Anfang tat es weh. Obwohl es auf Gegenseitigkeit beruhte, war da trotzdem immer so eine Leere, aber ich bin drüber weg. Unsere Beziehung hatte ihre guten und ihre problematischen Seiten. Es war anders als bei dir und mir.«
»Mußte es ja wohl sein.«
»Ja«, sagte sie, »ich weiß nicht, ob ich je wieder so etwas erleben werde wie mit dir. Das ist kein leeres Gerede, so empfinde ich es wirklich.«
Meine Augenlider fingen an zu schmerzen. »Ich weiß.«
»Alex«, sagte sie mit gepreßter Stimme. »Du mußt mir nicht antworten - Gott, das klingt ja so lächerlich - ich fühle mich so allein, Alex.«
»Was ist los?«
»Ich fühle mich heute abend wirklich mies, Alex. Ich könnte wirklich einen Freund gebrauchen.«
Ich hörte mich sagen: »Ich bin dein Freund. Was ist also los?« Soviel zu meinem eisernen Entschluß.
»Alex«, sagte sie schüchtern, »könnten wir uns treffen, nicht nur über das Telefon reden?«
»Klar.«
Sie fragte: »Bei dir oder bei mir?« und lachte etwas zu laut.
Ich schlug schnell vor: »Ich komme zu dir.«
Ich fuhr nach Venice wie im Traum. Ich parkte den Wagen in der Allee hinter den Läden des Pacific Boulevard, ohne den Graffiti, den Müllgerüchen und schattenhaften Gestalten, die sich dort herumtrieben, auch nur irgendeine Achtung zu schenken. Als ich ihre Tür erreichte, hatte sie sie schon geöffnet.
Schwaches Licht fiel auf die Umrisse der Maschinen in ihrer Werkstatt. Süßer Geruch nach Holz und beißender nach Lack vermischte sich mit ihrem Parfüm - einem, das ich nicht kannte. Es machte mich eifersüchtig, kribblig und gespannt.
Sie trug einen grau-schwarzen Kimono, der bis zum Boden reichte, der Saum schleifte durch die Sägespäne. Rundungen unter der Seide, schmale Gelenke, nackte Füße. Ihre kastanienbraunen Locken hingen lose herunter, fielen ihr schimmernd über die Schultern. Sie hatte frisches Make-up aufgelegt, erste Falten kündigten sich auf ihrem Gesicht an, immer noch schön - so vertraut wie der Morgen. Aber irgend etwas daran war verändert, neu. Reisen, die sie allein unternommen hatte. Es machte mich traurig.
Ihre dunklen Augen brannten vor Scham und Sehnsucht. Sie zwang sich, mir in die Augen zu sehen.
Ich nahm sie in die Arme, spürte, wie sie mich umschlang und sich an mich klammerte - fand ihren Mund und ihre Glut, hob sie auf und trug sie zur Empore hinauf.
Das erste, was ich am nächsten Morgen empfand, war eine große Verwirrung. Ich spürte ein dumpfes Pochen und Dröhnen wie bei einem Kater, obwohl wir nichts getrunken hatten. Das erste, was ich hörte, war ein rhythmisches Raspeln - ein gemächlicher Sambarhythmus, der von unten heraufkam. Das Bett neben mir war leer - manche Dinge verändern sich nie.
Ich setzte mich auf, blickte über das Geländer der Empore hinunter und sah sie bei der
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