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SÄURE

SÄURE

Titel: SÄURE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Arbeit. Sie schmirgelte den Rücken einer Gitarre aus Rosenholz, den sie in einem gepolsterten Schraubstock festgeklemmt hatte. Sie hockte an ihrer Werkbank, trug einen Overall, Schutzbrille und Gesichtsmaske und hatte ihr Haar zu einem Knoten geschlungen. Bitterschokoladenkringel aus Holz sammelten sich zu ihren Füßen.
    Ich sah ihr eine Weile zu, dann zog ich mich an und ging hinunter. Sie hörte mich nicht, arbeitete weiter, und ich mußte direkt vor sie hintreten, um sie auf mich aufmerksam zu machen. Selbst dann dauerte es einen Moment, bis unsere Blicke sich trafen, so sehr hatte sie sich auf das gemaserte Holz konzentriert.
    Endlich hörte sie auf, legte die Feile auf die Werkbank und zog die Maske herunter. Auf ihrer Schutzbrille lag rosafarbener Staub, so daß ihre Augen blutunterlaufen wirkten. »Das ist sie - die für Joni«, sagte sie, drehte den Schraubstock auf, hob das Instrument heraus und drehte es herum, so daß ich es von vorn betrachten konnte. »Der Bauch wie üblich geschnitten, aber statt Ahorn wollte sie Rosenholz für den Rücken und an den Seiten nur eine minimale Einbuchtung - der Klang dürfte interessant sein.«
    Ich sagte: »Guten Morgen.«
    »Guten Morgen.« Sie steckte die Gitarre zurück in den Schraubstock, und ihre Augen trennten sich auch dann nicht davon, als sie befestigt und sicher war. Ihre Finger fuhren über die Holzflächen. »Gut geschlafen?«
    »Wunderbar, und du?«
    »Auch herrlich.«
    »Lust auf Frühstück?«
    »Eigentlich nicht«, sagte sie. »Es ist reichlich im Kühlschrank - mifridge es sufridge. Bediene dich!«
    Ich sagte: »Ich habe auch keinen Hunger.«
    Ihre Fingernägel trommelten auf der Feile herum. »Tut mir leid.«
    »Was?«
    »Daß ich kein Frühstück mag.«
    »Ein Kapitalverbrechen, du bist verhaftet.«
    Sie lächelte, sah wieder auf die Werkbank und dann wieder zu mir. »Du weißt, wie das mit der Eigendynamik ist. Ich bin früh aufgewacht - Viertel nach fünf, weil ich in Wahrheit nicht gut geschlafen habe. Ich war einfach unruhig, mußte immer an das Ding hier denken.« Sie streichelte die konvexe Rückseite der Gitarre und klopfte darauf. »Hab’ immerzu überlegt, wie ich hier in diese Maserung hineingehe. Sie ist aus Brasilien, viertelgesägt, hast du eine Ahnung, was ich für ein so dickes Stück bezahlt habe, und wie lange ich hab’ suchen müssen, bis ich so ein breites Stück fand?« Sie will den Rücken aus einem Stück, also kann ich es mir nicht leisten, sie zu verderben. Der Gedanke daran macht mich verrückt, die Arbeit hat unheimlich viel Zeit gebraucht. Aber heute früh ging es ganz gut vorwärts. Also habe ich weitergemacht, ich glaube, ich war wie in Trance. Wie spät ist es denn?«
    »Zehn nach sieben.«
    »Du machst Witze«, sagte sie und krümmte die Finger, »dann hab’ ich fast zwei Stunden gearbeitet? Kann ich mir gar nicht vorstellen.« Sie krümmte sie wieder.
    Ich fragte: »Schmerzen?«
    »Nein, ich fühle mich ausgezeichnet. Ich mache immer diese Fingerübungen, damit ich keinen Krampf kriege, und es hilft wirklich.« Sie strich wieder über das Holz.
    Ich sagte: »Du bist so gut drauf, Kleine, hör jetzt nicht auf.« Ich küßte sie auf den Kopf. Sie packte mit der einen Hand mein Handgelenk und schob mit der anderen ihre Schutzbrille hoch. Ihre Augen waren wirklich blutunterlaufen, eine schlechtsitzende Brille oder Tränen?«
    »Alex, ich…«
    Ich legte ihr meinen Finger auf die Lippen und küßte ihre linke Wange. Ein Hauch von Parfüm kitzelte meine Nase und vermischte sich mit dem Geruch von Sägemehl und Schweiß. Erinnerungen stiegen in mir auf - zu viele. Ich wollte mein Handgelenk befreien, aber sie hielt fest und drückte meine Hand an ihre Wange.
    »Alex«, sagte sie, sah mich an und blinzelte angestrengt. »Ich habe es nicht so geplant, bitte glaube mir. Was ich über Freundschaft gesagt habe, war wahr.«
    »Es gibt nichts, für das du dich entschuldigen müßtest.«
    »Irgendwie hab’ ich aber doch das Gefühl.«
    Ich sagte nichts.
    »Alex, was wird jetzt werden?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Sie ließ meine Hand sinken, wich zurück und wandte sich der Werkbank zu.
    »Was ist mit ihr?« fragte sie, »der Lehrerin?«
    Der Lehrerin. Ich hatte ihr erzählt, daß Linda eine Schulleiterin war. Eine Herabstufung im Dienste des Ego.
    Ich sagte: »Sie ist in Texas, für unbestimmte Zeit. Ihr Vater ist krank.«
    »Oh, tut mir leid, das zu hören, irgendwas Ernstes?«
    »Herzprobleme, es geht ihm nicht gut.«
    Sie

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