SÄURE
limbische System nicht zu beeinträchtigen. Ja, bisher wurde überhaupt keine Einwirkung auf das zentrale Nervensystem festgestellt. Was bedeutet, daß das Suchtpotential geringer ist. Man bekommt keines der Probleme, die man bei Valium oder Xanax hat. Und infolge der Einwirkung auf das Respirationssystem verbessert sich rasch die Atmung, was sich auf die gesamte Angstsymptomatik auswirkt. Der einzige Nachteil ist, daß die Wirkung nur sehr kurz anhält.«
»Es hat bei ihr funktioniert. Sie hat sich ziemlich schnell beruhigt und war zufrieden, weil sie mit dem Anfall fertig geworden ist.«
»Das ist das Ziel unserer Arbeit«, sagte sie, »das Selbstbewußtsein zu entwickeln. Das Medikament dient als Sprungbrett für eine kognitive Restrukturierung. Wir geben unseren Patienten ein Erfolgserlebnis, und dann trainieren wir sie, sich selbst in einer machtvollen Rolle zu sehen, den Anfall als Herausforderung, nicht als Tragödie zu betrachten. Zunächst sollen sie sich auf partielle Erfolge konzentrieren, um später darauf aufzubauen.«
»Es war definitiv ein Sieg für sie. Als sie sich beruhigt hatte, war die Sache mit Melissa für sie ja immer noch ungelöst. Das regte sie zwar auf, aber die Angst kam nicht wieder.«
»Wie hat sie dann reagiert?«
»Sie ging los, Melissa suchen.«
»Gut, gut«, sagte sie, »handlungsorientiert.«
»Leider war Melissa fort. Sie hatte das Haus mit einem Freund verlassen. Ich habe dann ungefähr eine halbe Stunde mit Mrs. Ramp zusammengesessen, um auf ihre Rückkehr zu warten. Das war das letzte Mal, wo ich sie gesehen habe.«
»Wie hat sich Mrs. Ramp verhalten, während Sie warteten?«
»Sie war deprimiert, machte sich Sorgen darüber, wie sie sich mit Melissa verständigen sollte. Aber keinerlei Panik - nein, sie wirkte sogar sehr ruhig.«
»Wann ist Melissa dann schließlich wieder aufgetaucht?« Ich stellte plötzlich fest, daß ich es gar nicht wußte, und sagte es ihr.
»Nein«, sagte sie, »das Ganze muß Gina mehr getroffen haben, als sie es sich hat anmerken lassen - auch mir gegenüber. Sie rief mich heute früh an und sagte, es hätte eine Auseinandersetzung gegeben. Sie klang nervös, erklärte jedoch, es gehe ihr gut. Das Gefühl, die Lage zu beherrschen, ist so wesentlich für die Behandlung, daß ich mich nicht auf einen Streit mit ihr eingelassen habe. Aber ich wußte, daß wir miteinander sprechen mußten. Ich bot ihr an, sich entweder unter vier Augen mit mir zu unterhalten oder es in der Gruppe zu diskutieren. Sie sagte, sie wollte es in der Gruppe versuchen - die nächste Sitzung war heute - und wenn sich ihre Probleme dadurch nicht lösten, würde sie vielleicht länger bleiben und es mit einer der Frauen weiterdiskutieren. Deshalb war ich ganz besonders überrascht, als sie nicht kam. Ich hatte gedacht, daß es eine wichtige Sitzung für sie war. Als die Gruppe um vier Uhr ihre Pause machte, rief ich bei ihr zu Hause an, sprach mit ihrem Mann und erfuhr, daß sie um halb drei aufgebrochen war. Ich wollte ihn nicht beunruhigen, aber ich habe ihm vorgeschlagen, er solle die Polizei anrufen. Bevor ich noch den Satz beenden konnte, hörte ich im Hintergrund einen Schrei.«
Sie machte eine Pause und beugte sich vor, so daß ihr Busen auf dem Schreibtisch ruhte. »Offenbar war Melissa hereingekommen, hatte gelauscht, fragte ihren Stiefvater aus und wurde hysterisch.« Noch eine Pause. Ihr Busen blieb, wo er war, wie zum Angebot.
Ich sagte: »Sie scheinen Melissa nicht sehr zu mögen.«
Sie hob die Schultern, lehnte sich zurück. »Darum geht es ja wohl kaum, oder?«
»Ich nehme an, nicht.«
Nun zog sie an ihrem Rocksaum, zog fester, als er nicht nachgab. »Also gut«, sagte sie, »Sie sind ihr Fürsprecher. Ich weiß, daß Kinder andauernd solche Zustände bekommen vielleicht ist das manchmal nötig. Aber das hat mit unserem Thema hier überhaupt nichts zu tun. Wir sprechen über eine Krisensituation. Eine Frau mit einer schweren Phobie, eine der am schwersten behinderten Patientinnen, die ich je behandelt habe, und ich habe eine Menge behandelt. Sie ist irgendwo allein da draußen, Stimuli ausgesetzt, auf die sie völlig unvorbereitet ist, hat ihre Behandlung abgebrochen, Schritte unternommen, die über ihre Kräfte gehen, aufgrund des Drucks, dem sie seitens eines hochneurotischen jungen Mädchens ausgesetzt war. Und hier setzt meine Fürsprechrolle ein. Ich muß an meine Patientin denken. Sie sehen ja wohl sicherlich ein, daß die Beziehung zwischen den
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