SÄURE
Relatives, Ursula. Ruf sie an! Erinnere sie taktvoll daran, daß McCloskeys Verhaltensweise die eines Auftraggebers ist, nicht eines Ausführenden, und daß er vielleicht wieder jemanden beauftragt hat. Soziopathen wiederholen sich oft - starres Verhaltensmuster, sind allesamt gleich vorgeprägt.«
»Leo, ich weiß nicht -«
»Bitte, Liebling.« Er nahm ihre beiden Hände in die seinen und massierte ihr weiches Fleisch mit den Daumen. »Wir haben es hier mit geistig Minderbemittelten zu tun, und Mrs. Ramps Wohlergehen steht auf dem Spiel.«
Sie öffnete den Mund, schloß ihn und sagte dann: »Selbstverständlich, Leo.«
»Danke, Liebling. Und noch etwas, sei so lieb, fahr den Saab ein bißchen weiter rein. Ich stehe mit dem Heck draußen auf der Straße.«
Sie kehrte uns den Rücken zu und ging rasch in ihr Büro. Gabney sah ihr nach, folgte ihrem Hüftschwung beinahe lüstern. Als sie die Tür schloß, wandte er sich zum erstenmal, seit wir einander die Hände geschüttelt hatten, mir zu. »Dr. Delaware, der Sie berühmt sind für Ihren ›Pavor nocturnus‹. Kommen Sie doch in mein Büro, ja?«
Ich folgte ihm in den nach hinten gelegenen Teil des Hauses, in einen großen getäfelten Raum, der die Bibliothek hätte sein können: Samtvorhänge unter goldgerahmten Borden, mit fast rokokohafter Hingabe verschnörkelte Bücherschränke und düstere Pferde und Hundebilder, von der Stuckdecke hing ein Messingkronleuchter mit elektrischen Kerzen.
Er setzte sich an seinen ebenso überladenen Schreibtisch und lud mich ebenfalls ein, Platz zu nehmen.
Zum zweitenmal innerhalb von wenigen Minuten landete ich auf der anderen Seite des Schreibtischs. Ich fing an, mich so langsam wie ein Patient zu fühlen.
Er nahm einen elfenbeinernen Brieföffner, um den Umschlag eines Exemplars des ›Journals für angewandte Verhaltensforschung‹ aufzuschlitzen, überflog das Inhaltsverzeichnis und legte das Heft wieder hin, hob eine andere Zeitschrift auf, blätterte, runzelte die Brauen. »Meine Frau ist eine sagenhafte Person«, sagte er und nahm eine dritte Zeitschrift, »einer der hellsten Köpfe ihrer Generation - Dr. med. und Dr. phil. mit vierundzwanzig Jahren. Eine begabtere oder gewissenhaftere Klinikerin werden Sie nirgendwo finden.«
Ich fragte mich, ob er die Art Behandlung, die er ihr gerade hatte zukommen lassen, wiedergutmachen wollte, und sagte: »Beeindruckend.«
»Außergewöhnlich«, er legte die dritte Zeitschrift beiseite, lächelte, »was konnte ich da noch anderes tun, als sie heiraten?«
Bevor ich mir überlegt hatte, wie ich darauf reagieren sollte, sagte er: »Wir witzeln immer und sagen, sie wäre ein Paradoxon.« Er kicherte, hörte abrupt damit auf und griff sich in die Hemdtasche, um ein Päckchen Kaugummi herauszuholen.
»Spearmint?« fragte er.
»Nein, danke.«
Er wickelte einen Streifen aus und fing an zu kauen - sein schwaches Kinn hob und senkte sich so regelmäßig wie eine Ölpumpe. »Die arme Mrs. Ramp. In diesem Stadium ihrer Behandlung ist sie nicht gerüstet, da draußen zu sein. Meine Frau hat mich sofort angerufen, als sie merkte, daß etwas nicht stimmte - wir haben eine Ranch oben in Santa Ynez. Leider konnte ich ihr wenig bieten, was kluge Ratschläge betrifft; wer rechnet auch mit so etwas? Was kann denn bloß passiert sein?«
»Gute Frage.«
Er schüttelte den Kopf. »Sehr bedrückend das Ganze. Ich möchte natürlich hier sein, falls irgend etwas ist. Habe alles stehen und liegen gelassen und bin sofort hergekommen.«
Seine Kleidung sah gebügelt und sauber aus. Ich fragte mich, was er stehen - und liegengelassen haben mochte. Ich erinnerte mich an seine glatten Handflächen und fragte: »Reiten Sie?«
»Ein bißchen«, sagte er kauend, »obwohl ich kein leidenschaftlicher Reiter bin. Ich hätte die Biester selbst niemals gekauft, aber sie waren schon da, als ich den Besitz übernahm. Was ich wollte, war das Grundstück. Es gehören zwanzig Morgen Land dazu. Ich habe daran gedacht, Chardonnay-Trauben anzubauen.« Sein Mund stand für einen Augenblick still. Ich konnte das Kaugummistück unter seiner Backe erkennen - wie einen Kautabakpfropfen. »Meinen Sie, ein Verhaltensforscher ist fähig, einen erstklassigen Wein zu produzieren?«
»Man sagt, ein guter Wein sei das Produkt immaterieller Werte.«
Er lächelte. »Keineswegs«, sagte er, »nur unvollständige Daten.«
»Vielleicht. Trotzdem, viel Glück!«
Er lehnte sich zurück und ließ die Hände auf dem Bauch ruhen.
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