SÄURE
entwickeln. Die Leistung in meinem Leben, die mich am meisten befriedigt hat. Sind Sie verheiratet?«
»Nein.«
»Eine wundervolle Einrichtung, wenn man sich gut versteht. Meine ersten beiden Ehen sind gescheitert, weil ich mich von immateriellen Werten, von Unwägbarkeiten habe beeinflussen lassen. Ich habe das, was ich gelernt hatte, nicht angewendet. Trennen Sie Ihren Beruf nicht von Ihrem Leben, mein junger Freund. Durch Ihre Kenntnis des menschlichen Verhaltens sind Sie dem gewöhnlichen, stümperhaften Homo incompetens haushoch überlegen.« Er lächelte wieder. »Genug des Vortrags. Wie weit sind Sie an dieser ganzen Sache - der armen Mrs. Ramp - beteiligt?«
»Ich bin nicht daran beteiligt, Dr. Gabney, ich bin gekommen, um etwas zu erfahren.«
»Diese McCloskey-Sache - ein sehr beunruhigender Gedanke, daß so ein Mann frei herumläuft. Wie haben Sie es erfahren?«
Ich erzählte es ihm.
»Ah, die Tochter, verdrängt ihre eigenen Ängste, indem sie das Verhalten ihrer Mutter zu kontrollieren versucht. Es wäre besser, sie teilte ihre Informationen mit. Was wissen Sie sonst noch über diesen McCloskey?«
»Nur die simplen Fakten des Attentats. Niemand scheint zu wissen, warum er es getan hat.«
»Ja«, sagte er, »ein ungewöhnlich schweigsamer Psychopath - normalerweise prahlen diese Typen ja mit ihren Untaten. Es wäre schön gewesen, die Geschichte von Anfang an zu verfolgen. Dann hätte man die Variablen bestimmen können. Aber letzten Endes hat der Behandlungsplan wohl nicht darunter gelitten. Entscheidend ist es, das ganze Gerede zu durchdringen und sie soweit zu bringen, daß sie ihr Verhalten ändern. Mrs. Ramp hat sich ja ganz gut entwickelt. Ich hoffe, es war nicht alles umsonst.«
Ich sagte: »Vielleicht gibt es einen Zusammenhang zwisehen ihrem Verschwinden und dem. Fortschritt, den sie gemacht hat, vielleicht fand sie Gefallen an ihrer Freiheit und beschloß, aufs Ganze zu gehen.«
»Eine interessante Theorie, aber wir ermutigen nicht zu Unterbrechungen des Behandlungsplans.«
»Manchmal brechen Patienten aus eigenem Antrieb aus.«
»Zu ihrem eigenen Schaden.«
»Meinen Sie nicht, daß sie manchmal wissen, was für sie am besten ist?«
»Im allgemeinen nicht. Wenn ich das täte, könnte ich nicht guten Gewissens dreihundert Dollar pro Stunde von ihnen verlangen, oder?«
Dreihundert! Bei der intensiven Behandlung, die die beiden vornahmen, konnte die ganze Klinik gut und gern von drei Patienten existieren. Ich fragte: »Ist das für Sie und Ihre Frau zusammen?«
Er grinste und ich wußte, ich hatte ihm die richtige Frage gestellt: »Für mich allein, meine Frau bekommt zweihundert. Sind Sie von diesen Zahlen entsetzt, Dr. Delaware?«
»Sie sind höher als das, woran ich gewöhnt bin, aber wir leben in einem freien Land.«
»Das tun wir. Ich habe den größten Teil meines Lebens in Akademien und öffentlichen Krankenhäusern verbracht und die armen Leute behandelt. Behandlungsprogramme für Patienten entworfen, die nie einen Cent bezahlt haben. In diesem Stadium meines Lebens fand ich es nur gerecht, meinen Erfahrungsschatz den Reichen zukommen zu lassen.«
Er hob den silbernen Füllhalter, zwickte an ihm herum und legte ihn wieder hin. »Also«, sagte er, »Sie haben das Gefühl, daß Mrs. Ramp weggelaufen ist.«
»Ich denke, das ist eine Möglichkeit. Als ich gestern mit ihr sprach, deutete sie an, daß sie einige Veränderungen in ihrem Leben vornehmen wollte.«
»Wirklich?« Die blauen Augen hörten auf umherzuwandern. »Was für Veränderungen denn?«
»Sie ließ durchblicken, daß sie das Haus nicht mochte, in dem sie lebt - es sei ihr zu groß, zu voll. Sie suche etwas Einfacheres.«
»Etwas Einfacheres«, wiederholte er, »sonst noch etwas?«
»Nein, das war es wohl.«
»Nun, so mir nichts, dir nichts zu verschwinden, das kann man kaum als eine Vereinfachung bezeichnen.«
»Haben Sie irgendwelche klinischen Eindrücke, die das, was geschehen ist, erklären könnten?«
»Mrs. Ramp ist eine liebenswerte Dame«, sagte er, »sehr lieb. Instinktiv möchte man ihr helfen, und klinisch ist ihr Fall ja auch ziemlich einfach, ein Fall wie aus dem Lehrbuch: eine klassische, konditionierte Angst, die durch vorherrschende Faktoren verstärkt und aufrechterhalten wird: die angstreduzierenden Effekte der wiederholten Vermeidung und Fluchttendenz verstärkt durch die positiven Aufladungen reduzierter sozialer Verantwortlichkeit und vermehrter Altruismen anderer
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