Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume
an so manche Filmpräsentation verzweifelt in irgendeinem Hotelzimmer. Hin- und hergerissen zwischen dem Wissen um die Notwendigkeit dieser Arbeit und dem Schmerz, der sich jedes Mal in meine Seele brannte, wenn ich der Öffentlichkeit wieder einmal mein Innerstes preisgeben musste. In jenen Tagen spielte ich mehr als einmal mit dem Gedanken, einfach wegzulaufen, alles sein zu lassen und irgendwo anders ein neues, ein normales Leben zu beginnen. Die unzähligen E-Mails und Briefe, die bei der Desert Flower Foundation eingingen, nachdem der Film in den Kinos angelaufen war, und das großartige Feedback von Menschen in der ganzen Welt waren mir jedoch Ermutigung und Bestätigung genug, dass es richtig war, nicht alles hinzuwerfen, sondern weiterzukämpfen.
Im Rahmen der Promotion Tour bereiste ich alle Kontinente und damit natürlich auch Afrika. Die Premiere in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba war einer der Höhepunkte meiner Reise. Meine Mutter, meine Brüder, Nichten und Neffen, sie alle waren aus Somalia gekommen, um sich den Film über ihre Wüstenblume anzusehen. Auf das Wiedersehen mit meiner Mutter freute ich mich ganz besonders. Lange Zeit hatte ich sie nicht getroffen. Und obwohl ich sie mein Leben lang mit den schrecklichen Erlebnissen in meiner Kindheit verbinden werde, wurde mir ganz warm ums Herz, als sie endlich wieder vor mir stand. In ihrem langen grünen Nomadenkleid und den Ledersandalen sah sie aus, als wäre sie selbst eine der Hauptdarstellerinnen meines Films.
Mama hatte sich kaum verändert. Sie war noch immer eine einfache Frau, die den ganzen Tag arbeitete, sich um ihre Enkel kümmerte und die Ziegen hütete. Beim gemeinsamen Fototermin für die äthiopische Presse überraschte sie mich jedoch. Mit unglaublicher Lockerheit stellte sich die Nomadin, die ihr Leben bisher nur in der Wüste fern jeglicher Zivilisation verbracht hatte, den Fotografen. Lächelnd und mit einem fröhlichen Augenzwinkern posierte sie zusammen mit mir im Blitzlichtgewitter, als hätte sie nie etwas anderes getan. Doch der Abend sollte noch weitere große Überraschungen mit sich bringen.
»Wieso zeigst du so etwas?«, fragte mich meine Mutter, als wir nach der Filmpremiere in unserem Hotel in Addis Abeba angekommen waren.
Ich wusste sofort, was sie meinte.
Wenige Stunden zuvor hatte ich bei der Beschneidungsszene im dunklen Kinosaal zu ihr hinübergespäht. Ich versuchte aus ihrer Miene abzulesen, was in ihr vorging, als sie auf der Leinwand die Qualen mitverfolgte, die man mir vor so vielen Jahren in ihrem Beisein zugefügt hatte. Würde sie die grausamen Momente genauso eiskalt mitansehen können, wie sie es damals getan hatte, als sie mir hinter dem Dornenbusch die Beine auseinanderdrückte, um der Beschneiderin die Arbeit zu erleichtern? Nein, zu meinem grenzenlosen Erstaunen schloss meine Mutter diesmal die Augen und zuckte beim gellenden Schrei der kleinen Safa sogar erschrocken zusammen.
»Mama, du weißt genau, warum diese Szene ein Teil des Films war. Es ist wichtig, dass alle Menschen erfahren, was uns Frauen angetan wird«, antwortete ich auf ihre Frage und sah sie anklagend an. »Willst du etwa, dass das immer so weitergeht?«
Während sie ihren Hijab nachdenklich ablegte und sich auf das Sofa setzte, redete ich weiter, ohne sie dabei aus den Augen zu lassen.
»Ich habe dich im Kino beobachtet. Du hattest bei der Verstümmelungsszene die Augen zu. Obwohl diese Bilder nur nachgestellt sind und die Realität noch viel grausamer ist, konntest du es nicht ertragen, sie dir anzusehen!«
Meine Mutter blickte schweigend zu Boden. Sie wusste, dass ich recht hatte. Gerne hätte ich ihr in diesem Moment noch viel mehr an den Kopf geworfen. Hätte ihr, wie schon vor Jahren, mein Unverständnis für ihr Handeln erklärt, sie vielleicht sogar angeschrien und geschüttelt, um sie endlich zur Vernunft zu bringen. Doch just in dem Moment klopfte es an der Tür.
Das Kindermädchen, das während der Filmpremiere auf meinen Sohn aufgepasst hatte, brachte mir den kleinen Kerl. Wie so oft lächelte Leon mich glücklich an, und prompt waren alle Wut, aller Ärger und Zorn sofort vergessen.
»Mama, darf ich dir Leon vorstellen, meinen zweiten Sohn.« Voller Stolz streckte ich ihr mein Baby entgegen.
Liebevoll nahm meine Mutter den »kleinen Löwen«, wie ich ihn zärtlich nannte, entgegen und drückte ihm einen innigen Kuss auf die Wange. Es war nicht zu übersehen, wie sehr sie sich darüber freute, dass ich zum
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