Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume

Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume

Titel: Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waris Dirie
Vom Netzwerk:
mich im Wagen entdeckt hatten. »Kommt raus. Waris ist hier.«
    Kaum waren wir aus dem Wagen gestiegen, liefen uns die vier Kinder freudestrahlend entgegen und fielen mir, Joanna und Fardouza um den Hals.
    Die Familie kannte Fardouza bereits seit vielen Jahren. Sie kümmerte sich gewissenhaft darum, dass die Lebensmittel- und Kerosinlieferungen, zu denen sich die Desert Flower Foundation bis zur Volljährigkeit der Kinder verpflichtet hatte, pünktlich ankamen. Auch das Schulgeld, das die Foundation regelmäßig bezahlte, verwaltete sie verlässlich. Ohne Mutter und mit einem so gut wie blinden Vater waren Idriss, Inab, Hibo und Hamda völlig auf sich alleine gestellt. Ihr Überleben hing faktisch von uns ab.
    Wie wichtig darüber hinaus Fardouzas Zuneigung für die Kinder war, wurde mir erst in diesem Augenblick klar. Hibo und Hamda umklammerten ihre Beine wie kleine Koalabären.
    »Darf ich dir unser Zuhause zeigen?«, wandte sich Idriss an mich, während Inab mich ungeduldig am Arm in die schäbige Hütte zog.
    Auf dem Boden lag eine Matratze ohne Polster und Decken, darüber hing ein notdürftig angebrachtes Regal, auf dem einige Bücher standen. Die Mauern waren aus Stein, Holz und Karton zusammengebastelt, als Zimmerdecke fungierten ein paar Kartons- und Plastikfolien. Stolz zeigte Idriss mir seine Schulbücher und sein letztes Zeugnis.
    »Sieh nur, Waris, in Englisch habe ich sogar achtzehn Komma fünf von zwanzig Punkten.«
    In Dschibuti wurde in den Schulen auf Französisch unterrichtet, daher entsprachen die Noten dem französischen Punktesystem. Zu meiner Verwunderung besaß Idriss auf dem Grundstück, das Nachbarn der Familie zur Verfügung gestellt hatten, eine eigene kleine Hütte. Als einer der Darsteller von
Wüstenblume
war er sozusagen zu einem Star in dem Dorf avanciert.
    »Komm, jetzt zeige ich dir unser Haus«, drängte Inab.
    Auch die drei Mädchen hatten ihre eigenen vier Wände, deren Anblick selbst mich als gebürtige Afrikanerin erschütterte. Sie bestanden schlicht aus aufgeschnittenen und aufgebogenen Benzinfässern, über die sie mehrere Plastikplanen gelegt hatten.
    Inab führte mich in ihr »Reich«, wie sie es liebevoll bezeichnete. Hier schlief sie mit ihren beiden Schwestern. In einer Ecke hatte die Achtzehnjährige ihre Kleider gestapelt, an der Wand standen ordentlich aufgereiht ihre Schulbücher. Das Matratzenlager schmückten mehrere Tücher in leuchtenden Farben. Die Mädchen bemühten sich sichtlich, das Beste aus ihrer misslichen Lage zu machen und ihre Hütte etwas gemütlicher zu gestalten.
    »Das haben wir ganz alleine gemacht, ohne Hilfe«, freute sich Inab darüber, dass ich ihre Bemühungen bemerkt hatte.
    »Waris, darf ich dir einen Tee machen?«, fragte Hibo schüchtern und zog an meinem Schal.
    »Das ist aber sehr freundlich von dir, du bist ein aufmerksames Mädchen«, lobte ich die Kleine und strich ihr über die von einem Kopftuch bedeckte Wange. Schon bei unserer Ankunft war mir aufgefallen, dass Inab, Hamda und Hibo selbst in ihrem Zuhause verschleiert herumliefen. »Warum nehmt ihr denn eure Kopftücher nicht ab? Ihr seid hier doch zu Hause«, sagte ich.
    Die Mädchen sahen mich entgeistert an.
    »Waris«, setzte Inab zu einer Erklärung an, »hier in Ali Sabieh ist es für alle Frauen Pflicht, sich zu verschleiern. Die Religion schreibt es vor, sogar die ganz kleinen Mädchen laufen so herum. Du darfst hier niemals Bein zeigen, eine Hose tragen oder gar Highheels. Die Menschen da draußen würden dich umbringen.« Mit einer strengen Handbewegung untermauerte das Mädchen die Ernsthaftigkeit des Themas.
    »Aber wir leben doch nicht in der Steinzeit!« Ich konnte mich nicht länger zurückhalten.
    Schon als Kind hatte ich den Schleier gehasst und mehrfach Prügel kassiert, weil ich in der Öffentlichkeit mein Kopftuch abgenommen hatte. Ein Mädchen hatte sich dieser Gesellschaft zu fügen und sich zu verschleiern, um die Männer nicht auf schmutzige Gedanken zu bringen. Sogar an Vergewaltigungen trugen hier, aus Sicht der Männer, ausschließlich die Frauen Schuld.
    »Waris, wie du weißt, bin ich hier ohnehin schon so etwas wie eine Revoluzzerin«, versuchte sich Inab nun zu rechtfertigen. »Doch obwohl ich die Älteste bin, will mein Vater nicht, dass ich das Haus ohne meinen Bruder als Aufpasser verlasse. Ich habe mich schon häufiger offen gegen die Beschneidung ausgesprochen, und alle wissen, dass ich die Verstümmelung meiner kleinen Schwestern verhindert

Weitere Kostenlose Bücher