Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume
Inab unsicher.
Wie schade, dass sie sich in dem hübschen Kleid nicht betrachten konnte.
»Ich habe eine Idee!«, rief ich aus, holte mein Handy aus der Tasche und schoss ein paar Fotos von Inab. Begeistert zeigte ich sie ihr. »Du siehst so gut aus, du könntest glatt Model werden.«
Inab lächelte stolz und forderte mich auf, mehr Fotos von ihr in den neuen Kleidern zu machen. »Vielleicht könnte ich wirklich Model werden«, überlegte das Mädchen laut. Nachdenklich legte sie den Kopf schief und fügte hinzu: »Aber ich denke, ich unterstütze dich besser doch bei deinem Kampf gegen FGM .«
Wir lachten und umarmten uns. »Danke, Mama«, flüsterte Inab mir ins Ohr, »du hast so viel für uns getan. Ich werde dich niemals vergessen.«
Wir verließen die Hütte, vor der Hibo und Hamda immer noch ihre neuen Kleider bestaunten.
Da stürmte plötzlich ihr Bruder wütend auf mich zu und brüllte: »Wieso darf meine Schwester nach Europa? Ich bin der Filmstar, sie ist bloß ein Mädchen. Wenn sie mitdarf, dann komme ich auch mit.«
Ich verstand seinen Ärger, doch zum einen wollte Inab mich bei meiner Arbeit unterstützen, und zum anderen sollte sie sich in Europa um Safa kümmern, die ohne ihre Mutter verreisen würde.
»Deine Schwester wird bei mir arbeiten«, erklärte ich ihm. »Um etwas bei uns zu lernen. Wenn du bereit bist, dich ebenfalls für unsere Foundation einzusetzen, werde ich dir einen Besuch in Europa ermöglichen.«
Ich ging ganz nah an sein enttäuschtes Gesicht heran und nahm ihn bei der Hand. Der Junge konnte nichts für seine unglückliche Art, die ihm das Leben noch sehr schwer machen würde.
»Waris, wir sollten aufbrechen, bevor es dunkel wird«, wandte Hussein ein, der sich zwischenzeitlich mit dem Vater der Kinder unterhalten hatte. »Am späten Nachmittag ist hier viel Verkehr, auf der Hauptstraße sind etliche Lastwagen aus Addis Abeba unterwegs, deren Fracht rechtzeitig auf die Kähne verladen und verschifft werden muss. Sie werden die Straßen verstopfen.«
Auch Fardouza mahnte: »Ja, wir müssen uns nun verabschieden. Ihr müsst zusehen, dass ihr möglichst früh ins Bett kommt.« Sie sah Joanna und mich an. »Euer Rückflug geht bereits um sieben Uhr morgen früh.«
Inab sah mich traurig an. Sie wusste, es war an der Zeit, adieu zu sagen.
Wir verabschiedeten uns von ihrer Familie. Zärtlich legte ich den Arm um die Schultern der Achtzehnjährigen, die uns zum Wagen begleitete.
»Sei nicht traurig«, sagte ich und blickte ihr tief in die Augen. »Wir sehen uns bald wieder … in Europa.«
Ohne ein Wort umarmte sie mich innig.
»Bis bald«, hauchte ich und stieg in den Wagen.
Hussein fuhr los. Als ich mich noch einmal umdrehte, um Inab zu winken, sah ich, wie ihr Vater sie lieblos am Arm packte und zurück in die Hütte zerrte. Mir war klar, dass wir auch sie aus diesem Elend befreien mussten. Und zwar so bald wie möglich.
Die Fahrt verlief schweigend, jede von uns hing ihren Gedanken nach.
»Ich will unbedingt Safa noch mal vor unserer Abreise sehen«, sagte ich nach einer Weile. »Können wir auf der Rückfahrt bitte kurz in Balbala anhalten?«
Hussein schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, aber mir ist es strikt verboten, nach Einbruch der Dunkelheit dorthin zu fahren. Niemand kann dann für eure Sicherheit garantieren, außerdem liegt Balbala nicht auf dem Weg zum Hotel.«
»Das ist mir egal«, widersprach ich. »Ich will mich von Safa verabschieden. Ich bin eine Somali, ich habe keine Angst!«
Der sonst so freundliche Fahrer wurde ungeduldig. »Ja, aber dann verliere ich meinen Job als Chauffeur, und das riskiere ich ganz bestimmt nicht. Sorry!«
Fardouza, die meinen Missmut bemerkte, versuchte einzulenken. »Beruhige dich, Waris, ich habe eine Lösung. Ich komme morgen früh mit Safa kurz zum Flughafen, damit ihr euch von ihr verabschieden könnt. Was hältst du davon?«
Das war ein guter Kompromiss, den ich akzeptieren konnte. Egal wo, egal wann – ich musste meine kleine Wüstenblume vor der Abreise noch einmal sehen.
Die Rückfahrt verlief so, wie es Hussein angekündigt hatte: im Stau. Erst kurz vor Mitternacht erreichten wir das Hotel an der Küste von Dschibuti-Stadt. Joanna und mir blieben genau drei Stunden Zeit, um uns auszuruhen, denn schon um halb vier Uhr würde der Wecker läuten.
Ich war todmüde, doch der Gedanke, Safa noch einmal in die Arme schließen zu können, trieb mich an.
Pünktlich um vier Uhr verließen Joanna und ich das Hotel.
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