Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume
Sand den Weg, dem Hussein nun folgte. Wir hielten auf eine Bergkette am Horizont zu, die im gleißenden Sonnenlicht blau schimmerte. Nach zwanzig Minuten erreichten wir unser Ziel. Links und rechts der Reifenspuren sprießte ein wenig Wüstengras, grüne Vorboten, dass sich hier eines Tages Vegetation ansiedeln könnte. Wir passierten einige große Felsbrocken und vertrocknete Palmen. Die Straße war steinig, und der Regen, der hier einmal pro Jahr niederprasselte, hatte riesige Gruben in den Sand gegraben. Vorsichtig manövrierte Hussein den Geländewagen zwischen den Hindernissen hindurch.
»Da vorne, das ist die Stelle«, unterbrach Hussein die angespannte Stille und deutete nach vorne.
Er hielt an, und ich öffnete die Autotür. Als meine Füße den Boden berührten, spürte ich, dass meine Knie weich wurden und versagten, als ob sie das Gewicht meines Körpers plötzlich nicht mehr tragen könnten. Verkrampft hielt ich mich an der Fahrzeugtür fest und blickte geradeaus.
Es war, als wäre das Filmteam erst gestern abgereist. Ich erkannte den Baum wieder, ebenso die spitzen Felsen und den Dornenstrauch. Vor meinem geistigen Auge sah ich Safa, die alte Hexe und die Frau, die meine Mutter spielte. Ich konnte die schrecklichen Schreie des kleinen Mädchens hören. Nein, das waren nicht Safas Schreie, die ich da hörte – es waren meine eigenen!
Als ich hochblickte, schienen sich die Felsen und die Wüste blutrot zu färben. Immer noch hielt ich mich an der Wagentür fest. Mein Magen krampfte, als würde ihn jemand mit einer Riesenfaust zusammenquetschen.
Dann spürte ich Joannas und Fardouzas stützende Arme unter meinen Achseln. »Bitte lasst mich eine Minute sitzen, auf einem von den Steinen hier«, bat ich. »Ich muss kurz durchatmen.«
Die beiden gingen mit mir ein paar Schritte zu einem Stein, auf dem ich mich niederlassen konnte. Ich nahm das Tuch, das ich um meinen Hals trug, bedeckte damit Kopf und Gesicht. In der Ferne hörte ich immer noch die spitzen Schreie, die sich jetzt mit den Klängen der somalischen Tanzmusik vermischten, die aus dem Geländewagen dröhnte. Die Musik lenkte mich von meinen grauenvollen Gedanken ab, und ich bemühte mich, den Refrain zu verstehen. »Ich liebe dich, mein leuchtender Stern, ich liebe dich, meine blühende Blume, du bist so rein, und du bist mein.«
Was für ein surrealer Augenblick in meinem Leben! Während ich mich im tiefsten Schmerz an die grauenvolle Beschneidungsszene erinnerte, sang ein junger Mann von Sternen, Blumen und darüber, wie sehr er seine »reine Geliebte« verehrte. Was für ein Hohn! Millionen Mädchen wurden unter dem Vorwand, sie »rein« zu machen, grausam verstümmelt – und im Hintergrund sang jemand über »Liebe«. Blanke Wut stieg in mir hoch.
Ich beschloss, mich der Situation zu stellen. Finster blickte ich zu Joanna und Fardouza hinüber, die zu einem anderen Felsen gegangen waren. Genau an dieser Stelle war die Schlüsselszene meines Films gedreht worden. Dieser schmale Stein in der Wüste war zu einem magischen Ort geworden. Wir alle spürten es: Dieser Platz, an dem man immer noch Safas gellenden Schrei zu hören vermochte, war für uns zum düstersten Ort der Welt geworden.
»Ich will hier weg!«
Obwohl ich flüsterte, schienen mich Fardouza und Joanna zu hören. Sie kehrten zurück und begleiteten mich zum Wagen. Wortlos startete Hussein den Motor und machte eine Kehrtwende. Endlich verließen wir diesen verhexten Ort des Schreckens.
Erst nach einigen Kilometern brach ich das betretene Schweigen. »Fardouza, warum habt ihr eigentlich genau diesen Ort in der großen Wüste ausgewählt, um die Szene zu drehen?« Sie blickte aus dem Fenster und schwieg. »He, wieso antwortest du nicht?«, hakte ich nach. Ich ahnte, dass mir unsere Mitarbeiterin etwas verschwieg.
Da erst sagte sie leise: »Okay, Waris … Auf der Suche nach geeigneten Drehorten haben wir die Nomaden in einem nahegelegenen Camp gefragt, ob sie uns einen Platz empfehlen könnten. Unser somalischer Fahrer erzählte dann von dieser Stelle in der Wüste. Hier treffen sich die Menschen, um Rituale abzuhalten. Und … sie bringen ihre Mädchen hierher, um sie beschneiden zu lassen.«
Ich war sprachlos. Es war also nicht nur unsere Filmszene, die den Platz in der Wüste so trist scheinen ließ – es war das Schicksal der Mädchen, die hier tatsächlich Grausames erleben mussten.
Fardouza erzählte weiter. »Als wir damals zur Besichtigung hergefahren sind,
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