Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume
ertrinken auf der Flucht oder werden umgebracht. Unzählige junge Frauen enden in Bordellen oder werden Opfer von Massenvergewaltigungen. Darüber liest man so gut wie nichts in den Zeitungen, obwohl es täglich passiert.«
»Aber es gibt doch sowohl die Afrikanische als auch die Arabische Union«, entgegnete Joanna. »Bei uns in Europa kommt es regelmäßig zu Aufschreien in den Medien, wenn Flüchtlingsboote im Mittelmeer kentern.«
An diesem Punkt mischte sich unser Fahrer kopfschüttelnd ein. »Denkst du, das interessiert hier irgendjemanden? Keine einzige afrikanische Regierung hat sich jemals gefragt, warum ihr die Menschen davonlaufen. Daher ist es ihnen auch egal, was mit denjenigen geschieht, die geflohen sind.«
Wir erreichten eine betonierte Straße, auf der Dutzende Tank- und Lastwagen hintereinander im Schneckentempo Richtung Wüste krochen.
»Puh«, stöhnte ich ungeduldig. »Wie lange brauchen wir denn noch nach Ali Sabieh?«
»Wenn das so weitergeht, sind wir morgen früh noch nicht da«, machte mir Hussein wenig Hoffnung. »Aber ich denke, der Stau löst sich nach wenigen Kilometern wieder auf.«
Tatsächlich kam die Kolonne bald wieder in Schwung, so dass Hussein endlich aufs Gas treten konnte. Unser Wagen rollte in Richtung Süden, in Richtung Äthiopien und Somalia, in Richtung Heimat.
»Hussein«, ich stupste unseren Fahrer von hinten an, »wie weit ist es eigentlich bis zur somalischen Grenze?«
»Von Ali Sabieh kannst du zu Fuß hingehen und einen Blick auf deine Heimat werfen. Der Ort liegt ganz nah an der somalisch-äthiopischen Grenze.«
Entlang der Straße standen immer wieder Blechhütten, dazwischen verrostete, ausgeschlachtete oder ausgebrannte Autos, Mauerreste und jede Menge Müll. Trostlosigkeit pur.
Ich schloss die Augen und lehnte mich in meinem Sitz zurück. Zweifel überkamen mich. Warum tue ich mir das eigentlich alles an?, fragte ich mich. Um ein einziges Mädchen vor der Genitalverstümmelung zu retten?
Weltweit sind einhundertfünfzig Millionen Frauen von FGM betroffen, allein dreißig Millionen Mädchen sind in Afrika akut davon bedroht – und ich war hergekommen, um nur eine von ihnen, die kleine Safa, zu retten. Im kleinsten und heißesten Land Afrikas. Ich hätte genauso gut ein Mädchen in Kenia auswählen können, eine kleine Massai, eine junge Äthiopierin oder eine der Ägypterinnen, die sich im arabischen Frühling zu emanzipieren begannen und sich gegen das Unrecht auflehnten, das ihnen tagtäglich widerfuhr.
Doch ich war nun mal hier, in Dschibuti, dessen geographische Lage die meisten Menschen nicht einmal kannten. Zum wiederholten Mal fragte ich mich, ob sich all der Aufwand wirklich lohnte. War es überhaupt gerechtfertigt, dieses eine Mädchen zu retten, koste es, was es wolle? Sich mit Eltern und Behörden herumzuschlagen, mit Menschen, die einfach nicht umdenken wollten, die stur waren. Hätte ich womöglich in einem anderen Land mit dem gleichen Einsatz weitaus mehr Mädchen retten können?
All diese Fragen musste ich mir stellen, denn sie würden mir auch in Europa gestellt werden, von Menschen, die meine Desert Flower Foundation unterstützten, und von den Medien. Es waren durchaus berechtigte Fragen. Während ich darüber nachdachte, fielen mir vor Erschöpfung die Augen zu.
Erst als mich eine Hand sanft an der Schulter berührte, schreckte ich hoch.
»Waris, he! Wach auf«, hörte ich Fardouza sagen.
»Sind wir bereits in Ali Sabieh?«, fragte ich verwirrt und rieb mir die brennenden Augen.
»Nein, noch nicht«, antwortete Fardouza. »Aber wir passieren gleich einen besonderen Ort. Jene Stelle, an der die schreckliche Szene mit Safa gedreht wurde.« Schlagartig war ich munter. »Ich dachte, du möchtest dir diesen Platz noch einmal ansehen. Gleich da vorne, hinter der nächsten Biegung, führt ein unbefestigter Weg in die Wüste«, erklärte sie.
»Ich weiß nicht so recht«, stammelte ich unsicher. »Ist das wirklich eine gute Idee, hier stehen zu bleiben? Vielleicht besser auf der Rückfahrt?«
Hussein sah in den Rückspiegel und sagte nüchtern: »Am Abend wird es zu dunkel sein, dann fahre ich ganz sicher nicht mehr auf dieser Schotterstraße, die großen Steine sind zu gefährlich. Außerdem gibt es jede Menge Sandlöcher, in denen wir stecken bleiben könnten.«
Ich überlegte. »Also gut«, sagte ich schließlich, »dann lasst uns kurz anhalten.«
Hussein bog von der Straße ab, mitten in die Wüste. Reifenspuren wiesen im
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