Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume
Mädchen werden meist noch vor der Pubertät verstümmelt, im Alter zwischen vier und vierzehn Jahren, aber manchmal wird die Beschneidung auch schon kurz nach der Geburt durchgeführt.«
Als Nächstes erzählte sie Idriss, Inab und Safa von den Zwangsehen. »Nur beschnittene Mädchen gelten als rein, wie ihr wisst. Die meisten werden extrem jung verheiratet, da die Eltern den Brautpreis in Form von Geld oder Vieh oft dringend zum Überleben brauchen.«
Safa schrieb eifrig auf dem Block mit, der auf ihrem Schoß lag. Unvermittelt legte sie Stift und Block zur Seite und stellte sich vor ihren Vater. Wütend stemmte sie einen Arm in die Hüfte und hob mit der anderen den Zeigefinger, wie eine Mutter, die ihr Kind tadelt. »Papa, das tust du mir aber nicht an«, ermahnte sie den erwachsenen Mann, der seine kleine Tochter ehrfürchtig musterte. »Du tauschst mich doch nicht gegen eine Ziege … oder?«
Idriss schnappte sich Safas Finger und biss spielerisch hinein. »Nein! Nur wenn du nicht brav bist, dann verkaufe ich dich«, sagte er, doch man konnte hören, dass er seine Kleine bloß ärgern wollte. Er zog seine Tochter an sich und kitzelte sie am Bauch, bis sie quietschte.
Ihr kindliches Lachen steckte Inab und Sophie an, und die entstandene Spannung legte sich ein bisschen. Dennoch war allen der Ernst des Themas bewusst.
»Warum wird den Mädchen so etwas angetan?«, fragte Inab.
»Ihnen soll das Empfinden genommen werden, um sicherzustellen, dass sie jungfräulich in die Ehe gehen und ihren Männern treu bleiben. Letztlich ist das auch eine Machtdemonstration von Männern gegenüber Frauen.«
Interessiert kniff Idriss die Augen zusammen, und auch Safa hörte wie gebannt zu.
» FGM wird übrigens weder im Koran noch in der Bibel ausdrücklich erwähnt«, führte Sophie weiter aus und erklärte, dass ein religiöses Gebot als Grund vorgeschoben werde. »In einigen überlieferten Texten, die dem Propheten zugeschrieben werden, ist zwar von Beschneidung die Rede. Aber erstens«, argumentierte Sophie, »ist die Echtheit dieser Texte fraglich. Und zweitens wird diese Praxis an keiner einzigen Stelle zur Pflicht erklärt. Der Wortlaut bringt nur eine Duldung des Brauches zum Ausdruck, sofern er bereits besteht. Die verstümmelnde Frauenbeschneidung wird übrigens keineswegs in der gesamten islamischen Welt praktiziert.«
Bei diesen Worten staunte Idriss. Ganz offensichtlich hörte er davon zum ersten Mal.
»In vielen islamischen Ländern wie der Türkei«, Sophie deutete auf das Land auf der Weltkarte an der Wand, »war die Beschneidung von Frauen niemals üblich, und auch in Syrien, Jordanien und dem Libanon kommt sie kaum vor. Dort, wo dieses grausame Ritual Tradition ist, werden allerdings nicht nur muslimische Mädchen, sondern auch Kinder alteingesessener christlicher Familien beschnitten. Das gilt für die Kopten in Ägypten ebenso wie für die Christen in Eritrea, die dort in etwa gleich stark vertreten sind wie die Muslime. Auch die mehrheitlich dem Christentum angehörenden Bewohner von Äthiopien lassen ihre Töchter beschneiden. Dort haben früher vor allem die Falaschen, die sich zum Judentum bekennen, Genitalverstümmelung praktiziert.«
Die drei wirkten überrascht, hatten sie die Beschneidung doch immer für ein spezifisch islamisches Glaubensritual gehalten. Nun erfuhren sie, dass es sich um einen kulturbedingten Brauch aus vorislamischen Zeiten handelt, der in Afrika die größte Virulenz und Verbreitung besitzt – und vermutlich auch dort seinen Ursprung hat.
»Kommst du noch mit?«, fragte Sophie die kleine Safa, der die Überforderung ins Gesicht geschrieben stand.
Prompt schüttelte das Mädchen den Kopf.
Wie in der Schule hob Inab ehrgeizig den Arm und rief ungeduldig: »Ich will es ihr erklären. Sophie meint, viele Leute glauben, dass die Religion von ihnen verlangt, die Mädchen beschneiden zu lassen. Dabei stimmt das gar nicht.«
Idriss reagierte heftiger als erwartet auf diese Information. »Was?«, schrie er erbost auf. »Das kann nicht sein! In unserer Moschee predigt der Imam, dass die Beschneidung von Gott gewollt ist. Er würde uns niemals anlügen!«
Sophie bewahrte die Ruhe und versuchte Safas Vater zu beschwichtigen. »Euer Imam will euch mit Sicherheit nicht belügen. Er glaubt das, was er sagt, weil er es nicht anders gelernt und auch nie kritisch hinterfragt hat.« Sie wusste, dass sie sich damit auf ein heikles Terrain begab, und hielt kurz den Atem an.
Doch statt
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