Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume
das Geld und die Lebensmittel brauche, die die Foundation allmonatlich vertragsgemäß lieferte, eindeutig verraten. Safas Eltern waren immer noch nicht von der Grausamkeit und Sinnlosigkeit der weiblichen Genitalverstümmelung überzeugt. Sie verschonten ihre Tochter aus rein wirtschaftlichen Gründen.
Da Idriss nun wusste, wie sehr mir die Unversehrtheit seiner Tochter am Herzen lag, würde er mich mit Sicherheit erpressen.
»Dann reden wir noch mal über den Vertrag«, hatte er angekündigt. Ich durfte mir sicher sein, dass Safas Vater noch mehr von uns fordern würde, um mir im Gegenzug zu garantieren, dass der Kleinen nichts zustieß. Zwar würde er nicht aus Hass oder Rache so agieren, sondern aufgrund seiner Not und Armut, aber besser machte dies die Situation, in die ich mich gerade hineingeritten hatte, um keinen Deut. Ich hatte mich erpressbar gemacht.
Sophie war unendlich erleichtert über die freudige Nachricht und konnte zum ersten Mal seit Tagen wieder ruhig schlafen. Entsprechend ausgeruht war sie, als sie mit Walter und den drei Afrikanern am nächsten Morgen auf den Schneeberg im nahegelegenen Niederösterreich fuhr, wo es einen idyllischen Wasserfall gab.
Durch dichte grüne Wälder ging es den Berg hinauf bis zu einer Lichtung, auf der ein altes, verziertes Bauernhaus aus Holz im hellen Sonnenschein stand. Direkt daneben plätscherte ein schmaler Bach vorbei.
Idriss holte hörbar tief Luft, als er aus dem Wagen stieg. Das frische Bergklima war kein Vergleich zu der stickigen, hochsommerlichen Hitze in der Innenstadt. Ohne auf die anderen zu warten, lief der Afrikaner ans Bachufer, kniete nieder und griff mit beiden Händen in das glasklare, kalte Wasser.
»Safa, komm her«, rief er seine Tochter. »Riechst du das Wasser und die Erde?«, fragte er das Mädchen und ließ die im Sonnenlicht funkelnden Wassertropfen über seine dunklen Hände tanzen.
»Ich habe noch nie so schönes, klares Wasser gesehen.« Safa flüsterte beinahe. »Es glitzert so schön, und es riecht frisch.«
Damit streifte sie ihre neuen Turnschuhe ab und stand im nächsten Moment bis zu den Knöcheln in dem fließenden Gewässer. Ihr kindliches Quietschen lockte nun auch Inab, Sophie und Walter an.
»Das ist ja eiskalt!«, rief sie laut.
»Kann man dieses Wasser trinken?«, wollte Safas Vater wissen.
Sophie beugte sich hinunter, formte mit ihren Händen einen Trichter und trank daraus ein paar Schlucke.
»Das heißt, ihr könnt jederzeit hierherkommen und euren Durst stillen?«, staunte Idriss.
Daraufhin erklärte Sophie ihm, dass man in Österreich das Wasser auch ganz bedenkenlos aus der Leitung trinken könne, weil es im Grunde das gleiche war wie in dem Bach.
»Aber das Wasser, das aus den Duschen kommt, ist doch bestimmt kein Trinkwasser?«, erwiderte der Afrikaner verblüfft.
»Doch«, sagte Sophie beschämt.
»Können wir jetzt lieber übers Essen reden«, scherzte Inab. »Ich habe nämlich Hunger.«
Also verschoben sie ihren Spaziergang auf später und machten es sich auf der urigen Holzveranda des Bauernhauses, das eine Gaststätte beherbergte, in der Sonne gemütlich.
»Hier würde es meiner Fozia gefallen«, sagte Idriss unvermittelt. Bisher hatte er kaum von
»mon chérie«
gesprochen, wie er sie nannte. Der Gedanke an ihre Familie, die zu Hause in der armseligen Hütte in Balbala saß, während sie sich hier, im Paradies, die Bäuche vollschlugen, machte nicht nur Idriss traurig.
Auch Safa war mit einem Mal niedergeschlagen.
»Sei froh, du kannst dir wenigstens sicher sein, dass deine Mutter auf euch wartet«, gab Inab zu bedenken. Ob ihre Mutter auf Inabs Rückkehr warten würde, war in der Tat ungewiss.
»Warum hat deine Mutter euch eigentlich damals verlassen?«, fragte Walter nach, der die Geschichte im Gegensatz zu Sophie noch nicht kannte.
»Sie war krank«, antwortete die Achtzehnjährige. »Außerdem hat mein Vater sie geschlagen.«
Beinahe hätte sich Sophie an ihrem Stück Knödel verschluckt. »Das hast du mir ja gar nicht erzählt, Inab«, sagte sie. »Wieso hat er deine Mutter misshandelt?«
Idriss verstand die Aufregung nicht. »Das hat doch nichts mit Misshandlung zu tun«, antwortete er an Inabs Stelle. »Der Koran erlaubt es Männern, ihre Frauen und Kinder zu schlagen.«
Eine heftige Debatte begann.
»Idriss, nichts auf der Welt gibt einem das Recht, anderen Gewalt anzutun. Egal ob es um Männer, Frauen oder Kinder geht«, argumentierte Sophie, und Walter stimmte ihr
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