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Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume

Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume

Titel: Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waris Dirie
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heftig nickend zu.
    »Ich habe ja nicht gesagt, dass ich
mon chérie
schlage. Beruhigt euch wieder«, versuchte Idriss die Gemüter zu beschwichtigen.
    An Safas Blick erkannten Sophie und Walter jedoch, dass er diesmal nicht die Wahrheit sagte.
    Nach der ausgiebigen Pause spazierten sie einen Wanderweg entlang.
    Walter, Idriss und Safa hasteten regelrecht den Berg hinauf, Inab und Sophie blieben ein Stück zurück.
    »Ich habe solche Angst um meine Schwestern«, ergriff Inab die Gelegenheit, allein mit ihrer neuen europäischen Freundin zu sprechen. »Unsere Nachbarn und Freunde machen mir große Vorwürfe, weil ich gegen die Beschneidung von Hibo und Hamda kämpfe. Ich hoffe, sie tun den beiden nichts an, während ich nicht da bin.« Sie berichtete weiter, dass die Lehrer der Familie immer wieder damit drohten, die Mädchen vom Koranunterricht auszuschließen, weil sie »unrein« waren. »Ich sage ihnen dann, dass wir die Schule bezahlen. Du weißt schon, mit dem Geld von der Foundation. Wenn sie nicht in den Koranunterricht dürfen, sage ich ihnen, dann nehme ich meine Schwestern mit und will auf der Stelle mein Geld zurück.«
    Unglaublich, wie reif und mutig diese junge Frau ist, dachte Sophie und umarmte Inab.
    Da sie die anderen ohnehin aus den Augen verloren hatten, setzten sie sich auf eine Bank am Wegesrand.
    »Wissen deine Schwester überhaupt, was FGM ist und wovor genau du sie bewahrst?«, fragte Sophie vorsichtig.
    Inab rutschte auf der Holzbank hin und her. »Ja, ich habe ihnen meine Geschichte erzählt. Willst du sie auch hören?« Die junge Frau hob den Kopf und blickte Sophie tief in die Augen, als wollte sie fragen, ob diese denn auch stark genug dafür sei.
    Sophie nickte wortlos.
    »Als ich klein war, hat mich meine Mutter eines Tages zu den Nachbarn mitgenommen. In deren Haus waren bereits viele Mädchen versammelt, und es gab jede Menge Leckereien, Popcorn, Coca-Cola, Süßigkeiten. Als ob es ein großes Fest geben würde. Ich war damals erst sechs Jahre alt, aber ich erinnere mich noch genau an die schrecklichen Schreie, die aus dem dunklen Zimmer kamen, in dem die alte Beschneiderin ein kleines Mädchen nach dem anderen quälte. Ich wusste damals nicht genau, was da drin geschah, aber ich wusste, dass ich das nicht erleben wollte. Manche Mädchen waren nicht einmal vier Jahre alt.«
    Inab atmete tief durch. Die Erinnerungen an die furchtbaren Szenen trieben ihr Tränen in die Augen. Sophie reichte ihr ein Taschentuch.
    »Als wieder einmal eine Mutter ihr kreischendes Kleinkind hinaustrug, konnte ich einen Blick in das dunkle Zimmer werfen.« Inabs Stimme zitterte. »Alles war voller Blut. Am Boden hatte sich sogar schon eine Lache gebildet, in der die hässliche alte Frau mit einer Rasierklinge in der Hand kniete und auf ihr nächstes Opfer wartete. Sogar die Wände waren vollgespritzt.«
    Sophie hielt sich die Hände vors Gesicht.
    Auch wenn sie im Rahmen ihrer Arbeit für die Foundation schon vieles über weibliche Genitalverstümmelung gehört, gelesen und sogar selbst geschrieben hatte, erschütterte Inabs Erzählung sie so sehr, als wäre sie einer der Millionen Menschen weltweit, die noch nie von diesem Grauen gehört hatten.
    »Irgendwann wollten sie auch mich einfangen und in den Raum bringen«, fuhr Inab fort. »Aber ich war schneller. Ich stürmte nach draußen und rannte los, so schnell ich konnte, doch meine Mutter lief mir nach und holte mich schließlich ein. Sie packte mich am Arm und zerrte mich mit Hilfe einiger anderer Frauen in das Haus zurück. Ich versuchte mich loszureißen, aber ich schaffte es nicht. Also ließ ich mich auf den Boden fallen. Ich tobte und schrie so lange, bis sie aufgaben.«
    »Und dann haben sie es eines Tages doch getan …«, sagte Sophie mit tränenerstickter Stimme.
    »Ja, da war ich dreizehn Jahre alt. Ich hatte mich jahrelang erfolgreich gewehrt, aber irgendwann hatte ich keine Kraft mehr. Ich war wie weggetreten, als ich in dem finsteren Zimmer auf dem Boden lag und darauf wartete, dass die Beschneiderin die Klinge zückte.«
    Inab begann bitterlich zu weinen, und Sophie nahm sie erneut hilflos in den Arm.
    »Sophie, ich werde diesen Moment nie, nie, nie vergessen. Diese Angst, diesen Schmerz.«
    Die Afrikanerin ließ ihren Tränen freien Lauf. Erst nach mehreren Minuten fing sie sich wieder. Mit dem Handrücken wischte sie sich immer wieder übers Gesicht.
    Irgendwann sagte sie schluchzend: »Seither weiß ich, dass etwas, das so weh tut,

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