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Sag, dass du eine von ihnen bist

Sag, dass du eine von ihnen bist

Titel: Sag, dass du eine von ihnen bist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwem Akpan
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Lebens. Nie hätte er es einem Ungläubigen gestattet, die eigene Gebetsmatte zu berühren. Um mehr hätte er die Familie Abdullahi gar nicht bitten können, und wenn ein Familienmitglied sie nun doch noch verraten sollte, hatten sie alle schon dermaßen viel für sie geopfert, dass es für Jubril keinen großen Unterschied mehr bedeuten würde. Er war voller Dankbarkeit und empfand einen eigenartigen Stolz auf das, was seine muslimischen Brüder für Ungläubige riskiert hatten. Mit der Hand strich er fürsorglich über die Gebetsmatten und segnete dann die Familie Abdul
lahi, deren Gebetsmatten heilig genug für sie alle gewesen waren.
     
    Der Wind fuhr ins Zimmer, und hastig griffen die Leute nach den Gebetsmatten, hielten sie fest. Dann spürte Jubril, wie seine Matte auf beiden Seiten zu Boden gezogen wurde. Fast hätte er vor Angst aufgeschrien. Behutsam, doch stetig wuchs der Druck, sorgte dafür, dass die Matten nicht fortwehten.
    »Halt die Matten fest!«, flüsterte ein verängstigter Christ Jubril ins Ohr.
    » Abeg  … bring mich nicht um, abeg «, flehte Jubril ihn an.

Während seine unbekannten Gefährten die Matten zu sich herabzogen, bewegte er seinen in der Tasche steckenden Armstumpf behutsam vom Druck fort. Im Dunkeln rechnete er sich aus, dass noch mindestens fünf, sechs betende, verängstigte Fremde unter denselben Matten lagen. Sie flehten Jesus und Maria um Rettung an; bei dem Lärm, den der Mob da draußen veranstaltete, hatten sie ihre Gebete wiederaufgenommen.
    »Um Himmels willen, halte die Matte mit beiden Händen fest«, fuhr Jubrils Nachbar ihn an. »Was ist in deiner Tasche, das wichtiger ist als dein Leben?«
    »Nix«, erwiderte er dem Christen. »Aber hilf mir … ich bin einer von euch.«
    »Fauler Kerl, halt die Matte fest!«
    Während sie sich zuflüsterten, wussten sie, dass ihre Leben in der Schwebe hingen, dass sie, falls jemand in Panik geriet, alle verloren sein würden – auch Mallam Abdullahi und dessen verängstigte Familie. Da er seine Matte nicht mit beiden Händen halten konnte, war Jubril froh, als seine Nachbarn ihm halfen.
    Dieses vereinte Bemühen ums Überleben und Abdullahis beherzter Mut füllten Jubril mit Hoffnung. In diesem dunklen Raum empfand er eine Freude, die er nicht erklären konnte,
eine Freude, die später seine Überzeugung stärkte, Allah würde ihn auch inmitten einer Busladung voll Christen beschützen.
    Wie er dort lag, begann er, gleich einem meditierenden Sufi alles um sich herum wahrzunehmen und sich vollständig Allahs Willen hinzugeben. Zuinnerst rief er den göttlichen Namen des Schöpfers an. Am liebsten hätte er seiner wilden Ekstase freien Lauf gelassen, doch blieb er so reglos liegen, dass sein Geist sich auszudehnen und Allahs Erhabenheit zu feiern schien.
    Er spürte seinen kostbaren Atem vorbei an den Haaren in seinen Nasenlöchern streifen, spürte dann, wie die Luft seinen Bauch anschwellen ließ. Er konnte ein wanderndes Kribbeln in den Unterschenkeln fühlen. Dort, wo die beiden Knie sich berührten, hatte sich die Haut bis eben taub angefühlt und pochte nun vor Schmerz. Jubril nahm das Zittern in den Händen seiner Nachbarn wahr, die ihm halfen, die Matten zu halten, und er fühlte die Hitze vom nackten Boden in seinen Rücken aufsteigen. Er konnte den Schweiß spüren, wie er die Poren füllte, herausrann und seinen Leib mit langen, wässrigen Schnüren an den Boden band, seine Wunden und Kleider tränkte. Die Verletzungen begannen aufs Neue weh zu tun. Speichel, der ihm im Mund getrocknet war, als die Fanatiker in den Raum stürmten, floss wieder und schmeckte angenehm. Selbst der Geruch der Matten war herrlich. Er war so lebendig wie nie. Bis auf die abgetrennte Hand pries er stumm mit seinem ganzen Leib Allah, so wie die Schöpfung ihre Vielfalt auf eine Weise feiert, die kein Sterblicher recht verstehen kann.
    Er fühlte sich verbunden mit dem neu entdeckten Universum unterschiedlichster, unbekannter Pilger, den gesichtslosen Christen. Angesichts ihres prekären Überlebens durchbohrte eine verblüffende Einsicht seine Seele: In Allahs Plan kam es auf jedes Leben an.
     
    Stumm flehten sie Gott noch immer auf ihre je verschiedenen Weisen an, als der Mob in einem letzten Versuch, Mallam Abdullahi eine Lektion zu erteilen, damit begann, im ganzen Haus Benzin zu verschütten. Zwei Männer kamen, blieben an der Tür stehen und besprenkelten das Zimmer. Benzintropfen fielen auf die Matten wie Regen auf Bananenblätter.

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