Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sag, dass du eine von ihnen bist

Sag, dass du eine von ihnen bist

Titel: Sag, dass du eine von ihnen bist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwem Akpan
Vom Netzwerk:
Bewusstsein verloren hatte, als ihn die von Musa und Lukman geführte Meute jagte, doch wusste er nicht, was danach geschehen war. Er wusste nur noch, dass er, schwach und
wund und von Matten bedeckt, in einem dunklen Raum wieder aufgewacht war.
    Schwer hing der scharfe Gestank der Matten im Raum. Jubril lag mit dem Rücken auf dem Boden; es war totenstill. Er kniff sich, um sich zu vergewissern, dass er noch lebte, war aber so müde, dass ihm die Matten bleischwer vorkamen. Einen Moment lang glaubte er, sein Leib würde zur Beerdigung vorbereitet. Behutsam sog er die Luft ein und wagte es nicht, sich zu rühren. Dann verfluchte er den Tag, an dem er Musa und Lukman kennengelernt hatte. War er von ihnen gefangen genommen worden? Warum aber sollten sie ihn am Leben lassen? Er konnte immer noch die triumphierenden Mienen sehen, mit denen sie auf ihn eingeschlagen hatten; die verbissenen Gesichter, mit denen sie ihn das Tal hinauf verfolgten. Er versuchte, seine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen, und hörte den Wind über die Savanne peitschen, fernes Vogelgezwitscher. Er wusste, er war irgendwo auf dem Land, konnte aber nicht sagen, ob man ihn weit von dort fortgebracht hatte, wo er gestürzt war.
    Plötzlich vernahm er das Unvorstellbare: Den ungezügelt hervorbrechenden Singsang von Christen der Pfingstkirche, die in Zungen beteten. Ein gnadenloser Schwall, der von allen Seiten auf Jubril eindrang. Jubrils Herz raste; er war in die Hände von christlichen Fundamentalisten gefallen. Die Zungenrede erinnerte ihn an seinen Bruder Yusuf am Tag seines Todes. Die Christen waren sehr nah, schienen den Raum zu füllen. Er dankte Allah, dass er sich nicht bewegt hatte, dass er nicht versucht hatte aufzustehen; er ahnte, wie gefährlich das gewesen wäre, selbst wenn er dazu die nötige Energie gehabt hätte. Sie beteten, als ob der Raum ihnen gehörte; ihre bebenden Leiber streiften die Matten. Jubril hatte Angst und hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten, hätte er sich nicht vor jeder Bewegung gefürchtet.
    Das Feuerwerk an Gebeten überschwemmte ihn mit Erin
nerungen an Yusuf. Würde man sein Leben verschonen? Warum hatten ihn die Christen in ihre Mitte gebracht? Wie hatten sie ihn gefunden? Wie konnte Allah zulassen, dass Jubril von seinen Freunden für einen Glauben verflucht wurde, dem er nie angehangen, den er nie praktiziert hatte, den er sogar von Herzen verabscheute? Von Muslimen verstoßen und von Christen gefangen genommen, klammerte er sich an sein Gewissen und betete.
    Während die Gebete im Dunkeln an Jubrils Ohren drangen, versuchte er, die Steine zu vergessen, die auf Yusuf niedergeprasselt waren. Er versuchte zu vergessen, wie Yusuf die Namen seiner Onkel und Nachbarn geschrien hatte, wie er sie angefleht hatte, ihn zu verschonen, und wie er, als er begriff, dass es nichts half, mit versiegender Kraft wieder in Zungen betete und den Namen Jesu anrief.
    »Barmherziger Allah, vergib mir!«, wiederholte Jubril immer wieder bei sich, um die verstörenden Erinnerungen an Yusuf in seinem Geist zu übertönen. Ich hätte freundlicher zu ihm sein sollen, als er aus dem Delta zurückkam, sagte sich Jubril. Ich hätte auf meine Mutter hören müssen. Und ich hätte mich weigern sollen, seiner Steinigung zuzusehen. »Allah, erweiche das Herz dieser Christen und verschone mich«, betete er und flehte mit jedem Zoll seines von blauen Flecken übersäten Körpers. Angesichts dessen, was er den Christen im Norden angetan hatte, angesichts der Rache, die über dieses Land hinwegfegte, wusste Jubril, dass ihm nur Allah allein noch helfen konnte. »Allah, gedenke meiner«, betete Jubril. »Und gib mir die Kraft, deiner zu gedenken.«
     
    Nach einer Zeit, die ihm wie eine Ewigkeit vorkam, hörte Jubril näher kommenden Lärm. Dem Getöse und den Gesängen nach zu urteilen, mussten es Muslime sein. Als der Mob das Haus umstellte, verstummten die Pfingstchristen wie quakende Kröten, deren Tümpel bedroht wird. Musa und Lukman
drängten sich in seine Erinnerung, und seine Angst wurde so groß, dass er nicht mehr beten konnte. Er dachte daran, aufzustehen und zu fliehen, seine beiden Freunde um den Spaß zu bringen, ihn nun doch noch töten zu können, aber sobald ihm klar wurde, dass die Christen, die eben noch gebetet hatten, als gehörte ihnen die ganze Welt, sich nicht mehr regten, sich auch nicht wehrten, beruhigte er sich wieder. Und das war gut so, denn als er die Beine ein wenig streckte, spürte er, dass er

Weitere Kostenlose Bücher