Sag, dass du eine von ihnen bist
noch zu schwach war, um aufstehen zu können.
Er wartete darauf, dass die Tür aufflog, dass seine muslimischen Glaubensbrüder hereinstürmten und ihn töteten. Er wartete darauf, dass ihre Fackeln für einen Moment die Dunkelheit mit Licht erhellten, ehe die Düsternis des ewigen Todes folgte. Der Mob schien am Haus vorbei- und in die Savanne hinauszustürmen. Er atmete wieder, und nach einer Weile hörte er Schritte, offenbar auf dem Flur nebenan. Er spitzte die Ohren und vernahm ein pausenloses Gewisper, leise geflüsterte Ave-Marias. Diesmal klangen die Stimmen noch näher als zuvor das ekstatische Gebet. Wieder dankte er Allah dafür, dass er sich nicht geregt hatte, als er die Muslime hörte. Wer weiß, was ihm diese flüsternden Christen angetan hätten?
Er versuchte noch herauszufinden, wo er war, als der Mob zurückkehrte, die Gesänge lauter, die Menge größer als zuvor. Als die Anführer den Hausbesitzer zu sehen verlangten, wäre Jubril beinahe in Ohnmacht gefallen.
»Bring uns die Ungläubigen, aber schnell!«, verlangte jemand. »Du versteckst sie doch in deinem Haus.«
»Ich hab keine Fremden in meinem Haus«, erwiderte der Mann.
»Zum letzten Mal sag ich, bring sie raus.«
»Und ich sag, ich hab keine Besucher im Haus.«
»Ein paar Leute behaupten, du versteckst welche bei dir. Sie behaupten, du hast das auch vor zwei Jahren schon gemacht, bei den letzten Unruhen.«
»Ich bin Mallam Yohanna Abdullahi«, erwiderte er, »und ich bin Lehrer, strenggläubiger Muslim.«
»Wissen wir.«
»Warum also sollte ich Ungläubige verstecken?«
»Auch bei uns Muslimen gibt's Verräter.«
»Manche helfen diesen Südlern zu fliehen, wo Allah doch will, dass man sie uns gibt, damit wir sie auslöschen«, sagte ein anderer Mann.
»Alles Igbo-Leute«, sagte ein Dritter, »Delta-Leute, Yoruba-Leute, diese ganze Bagage ausm Süden, die muss krepieren.«
»Keine Hausa, so wie wir«, sagte eine weitere fremde Stimme.
Der mallam erwiderte: »Ich, ich bin auch Hausa … Wie kann ich welche schützen, die nicht zu meinem Stamm gehören, das kapiert ihr doch?«
»Ist einer bei dir im Haus, stirbst du, ganz einfach.«
Jubril konnte nicht glauben, was er hörte. Ihn schockierte, dass sein Retter ein Hausa-Muslim war. Dabei klang es wie ein Spiel, und er rechnete damit, dass der Mann jeden Moment unter dem Druck zusammenbrach. Nun reihte man seine Söhne nebeneinander auf und warnte sie, man hätte schon viele Hausa umgebracht, die Ungläubige verstecken wollten. Die Söhne Abdullahis aber waren so mutig wie der Vater und beharrten darauf, dass es in ihrem Haus keine Fremden gab.
Als der Mob suchend ins Haus drang, war er so zerstörerisch wie ein Schwarm Heuschrecken. Sie sagten, sie gingen so brutal vor, weil man sie informiert habe, dass Mallam Abdullahi und seine Familie schon bei früheren Unruhen Christen und Leuten aus dem Süden geholfen hätten. Sie suchten nach Ungläubigen in der Küche und stritten sich um die Lebensmittel; sie suchten nach Ungläubigen in der Scheune und stahlen Yams und Säcke mit Erdnüssen. Sie suchten nach Ungläubigen in den Zimmern im Haus und schändeten Mallam Abdullahis Frau und Töchter, um sich dafür zu rächen, dass er
früher Ungläubigen geholfen hatte. In Jubrils Zimmer wagte niemand mehr laut zu beten. Wie Jubril bestürmten sie stumm den Himmel und flehten Gott an, den Mut ihres Hausherrn zu stärken.
Die Tür flog auf, und ein Windstoß fegte ins Zimmer, doch niemand kam herein. Mallam Abdullahi stand an der Schwelle mit zwei Männern, die ihn bedrängten und vor sich her schubsten. Er war barfuß und trug einen Pullover. Jubril hörte eine zweite Gruppe näher kommen, die Kriegslieder sang; er schloss die Augen und wartete.
» Wetin da drin, mallam ?«, fragte einer der Männer hinter Abdullahi.
»Nix«, erwiderte er.
»Sicher?«
»Nur ein paar Gebetsmatten. Ja, für meine ganze Familie … Wenn ihr wollt, mach ich ein Fenster für euch auf …«
Er wollte ins Zimmer, aber man zog ihn zurück.
Erst als sie schon einige Minuten verschwunden waren, merkte Jubril, dass seine Lippen bebten und er in Schweiß gebadet dalag. Bislang hatte er selbst Ungläubige gejagt, doch war er durch Musas und Lukmans Verrat ein anderer geworden. Der bloße Gedanke, sich unter fremder Leute Gebetsmatten zu verstecken, schien ihm zu viel. Er hörte in seiner Nähe ein, zwei Leute weinen, und auch sein eigenes Gesicht war nass. Er vergoss die ersten Freudentränen seines
Weitere Kostenlose Bücher