Sag, dass du eine von ihnen bist
von uns mussten bereits sterben, und ich werde nicht zulassen, dass sie jetzt von Ihrem irren Köter da gebissen werden!«
»Wir wollen diese Töle nicht im Bus, o !«
»Menschenrecht vor Tierrecht!«
»Polizei ist Staatsfeind Nummer eins!«
Oberst Usenetok lachte sie aus. Er drückte den Hund an sich und hauchte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Nase. Ohne Vorwarnung zuckte der Hund zusammen und wurde von einem jener tödlichen Hustenanfälle geschüttelt, die schon vorher gelegentlich zu hören gewesen waren. Der Leib verkrampfte sich, das Maul blieb weit aufgerissen, doch konnte das Tier außer ein paar Blutstropfen nichts mehr erbrechen. Wer in seiner Nähe war, wich schaudernd vor ihm zurück, der Oberst aber wischte das Blut mit seinem Ärmel auf. Ein fauliger Geruch verbreitete sich im Bus, und die Leute beschimpften den ECOMOG -Mann. Diesen Hund in ihrer Mitte zu haben gefiel den Flüchtlingen im Bus ganz und gar nicht.
»Die Götter unserer Vorfahren werden nicht zulassen, dass du stirbst, Nduese!«, betete der Soldat. »Sie müssen dich behüten, bis wir nach Hause gelangen und du die richtigen Kräuter bekommst! Die Götter, die mich auf den Schlachtfeldern von Liberia und Sierra Leone beschützten, die nie zuließen, dass mir die RUF -Rebellen Hand oder Fuß abhackten, diese Göt
ter werden mich nicht enttäuschen.« Mit seinen Worten fischte der ECOMOG -Mann einen Kranz diverser Amulette unter seinen Lumpen hervor. Die Flüchtlinge zogen hörbar den Atem ein. Seine Amulette waren größer und furchteinflößender als die des Häuptlings. Der ECOMOG -Mann nahm ein Amulett, das wie eine Kette aus Kaurimuscheln aussah, hängte es Nduese um den Hals und schüttete dem Hund einige Kräutertropfen in die Kehle. Ein paar Tropfen fielen auf Jubril. Ndueses Husten klang ab.
Als Jubril den Soldaten davon sprechen hörte, dass die Rebellen Glieder abgehackt hatten, nickte er und folgte jeder seiner Bewegungen mit verzückter Aufmerksamkeit und einem bizarren Lächeln, als wäre er vom ECOMOG -Mann hypnotisiert worden. Doch noch während sein Blick auf dem Soldaten ruhte, begann der Handstumpf in seiner Tasche wie von selbst zu zittern. Allerdings konnte niemand im Bus ahnen, dass Jubrils Gedanken weder beim Soldaten weilten noch bei dem, was sie in seiner Tasche vermuteten, sondern bei dem Tag, an dem ihm die Hand abgetrennt worden war. Er erinnerte sich an den Abend zuvor, daran, wie er versucht hatte zu schlafen, aber nicht einschlafen konnte.
Bis zu jenem Abend hatte er sich tapfer damit abgefunden und dem Ereignis mit freudiger Gelassenheit entgegengesehen, ein Junge, der völlig zufrieden mit seiner gerechten Bestrafung war, fast eine Art Held in der Nachbarschaft. Für ihn war die Hand schon tot. Und er glaubte fest daran, dass er und seinesgleichen vom Stehlen abgehalten wurden, wenn ihnen die Hand erst einmal abgeschnitten worden war. Er ignorierte seine rechte Hand, versuchte, sie nicht anzuschauen, und freute sich darauf, endlich von diesem Quell des Selbsthasses befreit zu werden. Jubril fing an, nur noch die Linke zu benutzen. Und um sicherzugehen, dass er nicht aus Versehen Finger und Handteller der verfluchten Rechten benutzte, zog er zur Erinnerung ein Gummiband auf das entsprechende Handgelenk, als woll
te er so eine deutliche Grenzlinie zwischen Gut und Böse, Liebe und Hass markieren. Derart mit sich im Reinen, fand er es in Ordnung, den rechten Ellbogen zu benutzen, denn der war am Diebstahl nicht beteiligt gewesen. Die vorletzte Nacht vor der Amputation hatte er noch friedlich geschlafen und sogar glücklich davon geträumt, dass ihm die Hand abgenommen wurde.
An jenem letzten Abend aber, allein in der Zelle, wollte der Schlaf nicht kommen. Er akzeptierte immer noch, dass seine Hand abgehackt werden sollte, und betete laut und deutlich, dass Allahs Wille geschehen möge, doch ertappte er sich zur eigenen Verlegenheit viele Male dabei, wie er sich im Dunkeln selbst die Hand gab. Er probierte die unterschiedlichsten Handschläge aus und tat sogar, als reichte er einem anderen die Hand. Zum letzten Mal benutzte er die Rechte, um die verschiedensten Teile seines Körpers zu berühren. Er stand auf, wanderte umher und betastete die Wände, den Boden. Er bewegte die Finger wie ein Flötist, wie ein Gitarrist und verabschiedete sich dann von seiner Hand, die er bereits dem Diebstahl geopfert hatte, da er wusste, dass man ihn bei Tagesanbruch narkotisierte.
Als die Flüchtlinge sahen, wie
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