Sag, dass du eine von ihnen bist
dass du es endlich begriffen hast.«
»Helfen Sie mir, wenn wir zu Hause ankommen, Häuptling?«
»So sollte es sein. Wie schon unsere Vorfahren sagten: Die Hoffnung der Ameise, zum Opfermahl vorzudringen, schwindet, je tiefer das Wickelblatt ist. Du kannst kaum hoffen, es bis zu meinem Dorf zu schaffen, und machst mir trotzdem Ärger. Ach, die Torheit der Jugend!« Dem Häuptling entfuhr ein tiefes, herzliches Lachen, und er regte und rekelte sich auf seinem Sitz, als wäre es ein Thron. »Natürlich sind wir Häuptlinge wie Emire, aber unser Volk ist ein wenig störrischer, also lässt es uns gegenüber oft am nötigen Respekt mangeln – letzten Endes respektieren sie uns dann aber doch. Gerade hast du in diesem Bus das typische Verhalten eines Bewohners aus dem Süden gegenüber seinem Häuptling erlebt – und zwar von dieser Frau.« Er zeigte auf Monica, die ihn anlächelte.
»Ich finde, ihr königlichen Väter überschätzt eure Macht ganz schön«, sagte sie achselzuckend.
»Gar nicht beachten«, meinte der Häuptling zu Jubril.
»Ja, Häuptling.«
»Siehst du, solch eine Schmach müssen die Emire nie von ihren Untertanen erdulden«, fuhr der Häuptling fort. »Das wusste ich auch damals schon, als wir General Abacha aufgesucht haben, um seine Präsidentschaft auf Lebenszeit zu planen. Gott sei seiner Seele gnädig. Er verstand, wie wichtig königliche Väter sind. In der Zeit nach ihm haben die Soldaten dann gekniffen und die Macht an die Zivilisten übergeben; und jetzt sieh dir an, was aus unserem Land geworden ist …«
Jubril fühlte sich beim Häuptling so wohl, dass er trotz seiner Schmerzen und der allgemeinen Unruhe in Schlaf fiel. Seit zwei Tagen hatte er nicht mehr geschlafen, doch nun, da der Häuptling gleichsam Wacht über ihn hielt, nickte er ein.
Als der Fahrer endlich mit einem Kanister Diesel zurückkam, war es draußen völlig dunkel. Mit Hilfe der Polizeibeamten und Schaffner tankte er den Bus auf. Am Himmel stand kein Mond, kein Stern. Das von Fenstern und Jalousien umrahmte und zerteilte Licht fiel wie lange Staken aus dem Bus in die Nacht. Eine gespenstische Stille lag über dem Land und schien die Menschen dort draußen ihrer Kraft zum Gemurmel beraubt zu haben. Sie bewegten sich lautlos, wussten nicht, welches Geschick sie erwartete, wenn der Bus erst einmal abgefahren war. Hin und wieder war ein Schuss zu hören, und von der Menge stieg ein Seufzen auf; manchmal bellte matt der keuchhustenkranke Hund.
Als die Tür aufging, dachten die Passagiere, der Fahrer sei bereit, die Reise zu beginnen, doch spie die Dunkelheit nur einen schlaksigen Neuankömmling in den Bus. Er bahnte sich seinen Weg, stolperte über die Leute, die am Boden saßen, und suchte nach einem Platz. Sein Haar war verfilzt, Dreadlocks, auf dem Kopf saß ein Militärbarett wie eine Schandkrone. Eine um die dünne Taille gebundene Schnur hielt den zerlump
ten Tarnanzug zusammen. Auf dem Arm hielt er einen Hund. Er hielt ihn so sanft, als wäre es ein zwei Tage altes Baby.
»Sind Sie der Fahrer?«, fragte Emeka.
»Nein.«
»Dann auf der Stelle raus mit Ihnen.«
»Die Polizei«, erwiderte der Neuankömmling, »sagt übrigens, dass der Fahrer zu müde ist, um gleich losfahren zu können. Er muss erst etwas essen und ein bisschen schlafen.«
Die Passagiere wurden unruhig und erhoben sich wie ein Mann, um den Neuen hinauszuwerfen; Emeka führte den Aufstand an. Der Mann wurde bis zur Tür gezerrt. Monica hatte ihr Kind jemand anders in den Arm gelegt, um Emeka die nötige Unterstützung geben zu können. Tega und Ijeoma schlossen sich an und beschimpften den Mann auf Urobho und Ibo.
Der Mann aber entwand sich Emekas Griff und förderte ein Ticket zutage.
»Die Polizei hat mir diesen Fahrschein gegeben und die Tür für mich aufgemacht. Was glaubt ihr denn, wie ich sonst in diesen Bus gekommen wäre?«, fragte der Mann, als Emeka ihn schließlich losließ. Erneut machte er sich auf den Weg, als hätte man ihm gerade nur ein Willkommensständchen gebracht, und suchte wieder nach seinem Platz. »Also warum schikaniert ihr mich so?«
»Weil Sie verrückt sind, deshalb!«, erwiderte Tega.
»Ich bin Oberst Silas Usenetok.«
»Oberst? Sie?«, fragte Madame Aniema.
»Wer hat Sie denn in die Armee gelassen?«, fragte Emeka.
Oberst Usenetok blieb vor Jubril stehen. »Steh auf!«, sagte er und stupste den schlafenden Jubril mit dreckigen Stiefeln an. »Das ist mein Platz.«
Verschlafen drehte Jubril sich um:
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