Sag, dass du eine von ihnen bist
du so genau darüber Bescheid wissen willst? Oder bist du jetzt etwa der Oberbefehlshaber?«
»Nein, Häuptling.«
»Dann hör auf, dich wie ein Demokrat aufzuführen!«
»Ja, Häuptling.«
»Ich sag dir, wenn wir die ECOMOG -Soldaten zurückholen, dann werden sich's diese Scharia-Leute im Norden noch gründlich überlegen! Glaub mir, ECOMOG kann unser Land zusammenhalten! Lass dich von all dem Gerede über Freiheit und Gleichheit nicht kirre machen, Gabriel … Einem alten Mann einen Sitzplatz zu überlassen, das ist eine gute Tat. Für einen königlichen Vater den Platz zu räumen ist nichts im Vergleich zu dem, was uns eigentlich zusteht …«
»Ja, Häuptling.«
»Es ist unhöflich, einen Häuptling zu unterbrechen.«
Jubril öffnete den Mund, machte ihn aber gleich wieder zu, da er fürchtete, erneut einen Fehler zu begehen. Er behalf sich mit einem Nicken.
»Gabriel, ich weiß doch, dass du etwas sagen willst, oder?«
»Entschuldigen Sie, Häuptling … Ich freu mich wegen der ECOMOG .«
»Gut. Wenn die Regierung so vernünftig wäre, sich an uns zu wenden, würden wir mit diesem Scharia-Krieg schon Schluss machen, verstehst du?«
»Bringt die ECOMOG nach Khamfi, Häuptling.«
»Keine Sorge. Sobald wir im Delta sind, wende ich mich an die königlichen Väter im Norden. Wir sind wichtig. Wir sind die Hüter von Weisheit, Geschichte und Tradition.«
Dieses Vertrauen auf Patriotismus und die Tüchtigkeit der ECOMOG -Soldaten machte Jubril Hoffnung, eines Tages in sein Khamfi zurückkehren zu können. Schon bewunderte er die ECOMOG -Soldaten und malte sich aus, wie sie kamen
und dem Land Ruhe und Sicherheit brachten. Jubril beschloss, dass er, selbst wenn mit seinem Vater alles gut liefe, nach Khamfi zurückkehren müsse, um seine Mutter und auch Mallam Abdullahi zu suchen, in dessen Haus Allah für Jubrils wundersame Errettung gesorgt hatte. Jubril konnte nur noch an die ECOMOG -Soldaten denken, an die Opfer, die sie im Ausland gebracht hatten, und daran, was sie für seine Landsleute tun konnten. Vielleicht sind die ECOMOG -Soldaten wie Mallam Abdullahi, dachte er. Und je mehr der Häuptling über ECOMOG schwatzte, desto stärker brannte sich Abdullahis Bild in Jubrils Gedanken ein. Er fühlte sich besser. Sich vorzustellen, wozu die ECOMOG -Soldaten fähig waren, tröstete ihn fast ebenso sehr, als hätte er eine Rückfahrkarte in der Tasche.
Er erinnerte sich an die Nacht, in der die Rebellen damit gedroht hatten, das Haus niederzubrennen, aber auch daran, wie der schneidende Wind in seine offenen Wunden biss, während Mallam Abdullahi mit ihm und den übrigen Flüchtlingen in seinem Peugeot 504 Pickup weit hinaus in die Savanne fuhr, um sie dort wie Tauben einen nach dem anderen freizulassen. Mallam Abdullahi hatte gesagt, dass es ihm nicht gefalle, sie alle gemeinsam auszusetzen, da er wisse, dass sich Muslime und Christen in der Gruppe befänden. Jubril ging als Letzter, weshalb seinem muslimischen Glaubensbruder noch Zeit blieb, mit ihm zu reden und ihn wegen seiner Hand zu bedauern. Er riet ihm, den Stumpf in der Tasche zu verstecken, bis er das Dorf seines Vaters erreicht habe. Und mehrmals sagte er, dass der Islam eine Religion des Friedens sei. »Das müssen wir beide, du und ich«, sagte er, während er Jubril umarmte, »der Welt beweisen. Vergiss nicht, niemand besitzt ein Monopol auf Gewalt. Also zieh nicht durch das Land und falle über Christen her.«
Jubril sah an sich herab, sah die Kleider, die Schuhe und das Marienmedaillon, das Mallam Abdullahi ihm gegeben hatte, damit er unter den Leuten aus dem Süden nicht auffiel. Und
das Geld, das er ihm gegeben hatte, war selbst nach Bezahlung des völlig überzogenen Fahrgelds noch nicht aufgebraucht. In jener Nacht im Busch war Jubril auf die Knie gesunken, um Mallam Abdullahi für das Geld zu danken, aber der Mann hatte gemeint, er leiste nur zakat , befolge eine der fünf Säulen seiner Religion, und bat ihn, es selbst an einem anderen gutzumachen.
»Nicht weinen, Gabriel … weine nicht«, tröstete ihn Häuptling Ukongo, als Jubril die Erinnerungen übermannten. »Es muss dich nicht traurig machen, wie die Regierung die königlichen Väter behandelt. Sie werden sich bald genug wieder an uns wenden.«
»Ich dank Gott für mein Leben, Häuptling … Sind Sie eigentlich ein so großer Mann wie ein Emir, Häuptling?«, platzte es plötzlich aus ihm heraus, womit er den alten Mann glücklich machte.
»Ja, natürlich. Freut mich,
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