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Sag, dass du eine von ihnen bist

Sag, dass du eine von ihnen bist

Titel: Sag, dass du eine von ihnen bist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwem Akpan
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Flur, sich umzugruppieren. Ich erkenne jede Stimme, nur Mamans Stimme kann ich nicht hören. Warum hat sie mir noch nichts gesagt? Warum sagt sie mir nicht, dass ich mich duschen soll?
    Alles, was Maman mir so oft gesagt hat, strömt mit einem Mal und doch einzeln auf mich ein, all das, was sie im Spiel, im Ärger, aus Angst gesagt hat. Eine Aufforderung, ein Schlaflied, das Geräusch ihres Kusses auf meiner Wange. Vielleicht versucht sie immer noch, mich vor dem Kommenden zu schützen. Das könnte sie, ich weiß es, geradeso, wie sie Papa daran gehindert hat, mir zu sagen, dass er ihr den Schädel spalten wird.
    »Ich warte auf Maman«, sage ich den Deckenleuten.
    »Sie ist fort, Monique.«
    »Nein, nein, ich verstehe es jetzt. Sie ist da oben.«
    » Yagiye hehe? Wo?«
    »Hör auf zu lügen! Sag meiner Mutter, sie soll mit mir reden.«
    Die Wohnzimmerdecke knirscht und sackt in der Mitte
schon ein wenig durch; Madame Thérèse lacht, als wäre sie betrunken. »Du hast recht, Monique. War nur ein Spaß. Kluges Mädchen, ja, deine maman ist hier, aber sie will nur runterkommen, wenn du zu Jean nach draußen gehst. Sie hat einen langen Tag hinter sich.«
    » Yego, madame «, antworte ich, »weckt sie auf.«
    »Sie kann dich hören«, sagt Monsieur Pierre Nsabimana plötzlich von über der Küche. Er hat bislang noch keinen Ton von sich gegeben. Seine Stimme beruhigt mich, und ich gehe zu ihm, den Blick an die Decke geheftet. Jemand beginnt mit rauem, raschem Geflüster die Kantene zu beten. Maman ist es nicht. Sie nimmt sich immer Zeit für ihre Gebete.
    »Willst du, dass deine maman mitsamt der Decke auf dich fällt?«, fragt Monsieur Pierre.
    »Nein.«
    »Dann sei ein gutes Mädchen, geh aus dem Haus und komm nicht zurück!«
    Die Decke über dem Altar beginnt sich von der Wand zu lösen, und wie riesige Eidechsen krabbeln die Leute flink von diesem Ende fort. Ich schnappe mir das kaputte Kruzifix und laufe nach draußen.
    Überall sind Leichen. Ihre Kleider tanzen im Wind. Wo Blut die Erde getränkt hat, rührt sich kein Grashalm. Geier picken mit langen Schnäbeln an den Toten; Jean will sie vertreiben, stampft mit den Füßen auf und fuchtelt mit den Armen. Seine Hände sind dreckig, da er versucht hat, den Toten aufzuhelfen. Er lacht nicht mehr. Seine Augen sind weit aufgerissen, und eine Furche durchzieht seine Kleinkinderstirn.
    Dann stakst er zu den UN -Soldaten an der Ecke, deren Gewehre in der Sonne blitzen. Als wären sie eine Fata Morgana, weichen sie vor ihm zurück. Die Geier hüpfen Jean hinterher. Ich schreie sie an, aber wie dickköpfige Moskitos lassen sie nicht von ihm ab. Jean hört nichts. Er sitzt auf dem Boden, strampelt mit den Beinen und weint, weil die Soldaten nicht
auf ihn warten wollen. Ich hocke mich vor ihn, bitte ihn, auf meinen Rücken zu steigen. Er tut es und gibt Ruhe.
    Wir humpeln in die eisige Nacht, schlagen den steinigen Weg ein, hinauf in die Berge. Das Blut auf unseren Kleidern trocknet, wird hart wie Kleister. Ein kleinerer Mob kommt uns entgegen. Monsieur Henri gehört dazu. Er trägt eine riesige Fackel, und die Flamme frisst sich mit großen, windigen Bissen ins Dunkel. Das sind Leute von Mamans Seite der Familie, und sie tragen alle Uniformen wie irgend so ein merkwürdiger Fußballklub. Sie singen, dass sie Papas Leute töten wollen. Einige von ihnen haben Gewehre. Wenn Papa Mamans Leben nicht verschonen konnte, werden die Verwandten meiner Mutter dann meines verschonen? Oder das meines Bruders?
    Mit Jean auf dem Rücken verschwinde ich im Busch, in einer Hand das Kruzifix, mit der anderen schütze ich die Augen vor Zweigen und hohem Gras; meine Füße sind kalt; hoffentlich trete ich in keine Dornen. »Maman sagt, hab keine Angst«, erkläre ich Jean. Dann legen wir uns aufs Kruzifix, damit uns sein Leuchten nicht verrät. Wir wollen leben; wir wollen nicht sterben. Ich muss stark sein.
    Sobald der Mob an uns vorbeigelaufen ist, gehe ich wieder zum Weg und blicke zurück. Sie zerren Maman an den Beinen aus dem Haus und zünden es an. Als die Tutsi, ihre Stammesgenossen, im Zwischenboden zu schreien beginnen, ist das Feuer nicht mehr aufzuhalten. Sie laufen weiter. Sie laufen hinter Papas Leuten her. Wir machen uns wieder auf den Weg.
    Überall ist es dunkel, und der Wind zieht schwarze Wolken wie Bettlaken über den Himmel. Mein Bruder spielt mit dem leuchtenden Kruzifix und brabbelt: »Maman, Maman«.

Nachwort
    Obwohl seine Eltern schon seit Jahrzehnten eine

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