Sag, dass du eine von ihnen bist
unbegrenzten Möglichkeiten zu halten, und ich begann, mich danach zu sehnen. Ich malte mir aus, wie meine Schwester und ich in einem Auto zur Schule gebracht werden würden. Auf unserer Nanfang zur Schule zu fahren, fand ich nun schon fast unter meiner Würde.
»Liebes, ich nenn dich einfach Mary, okay?«, sagte Mama zu meiner Schwester und rüttelte sie dabei behutsam wach. »Guten Morgen, Mary, du Schlafmütze …«
Yewa rieb sich die Augen, und ihr Blick wanderte von mir zu Mama, ehe er auf der vor ihr ausgebreiteten Essensvielfalt verharrte. Die Augen wurden immer größer, bis sie ihr vor Überraschung fast aus dem Kopf fielen.
»Würdest du gern Mary heißen? Oder soll ich dich lieber mit einem anderen Namen anreden, Kleines?«, fragte Mama.
»Wach auf, Yewa«, rief ich.
Sie sagte kein Wort, kratzte sich am Kopf und gähnte. Dann griff sie sich die ihr am nächsten stehende Coke.
»Weißt du, deinem Bruder gefällt Pascal«, versuchte Mama es erneut und blinzelte mir zu. »Er heißt jetzt Pascal.«
Yewa blickte mich an, und plötzliches Begreifen huschte über ihr Gesicht.
»Pascal?«
»Ja, das ist mein neuer Name«, sagte ich, zuckte mit den Achseln und lächelte verlegen. »Ist schon okay, Yewa.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich heiße Yewa Mandabou!«
»Wenn Mama dir einen neuen Namen gibt«, warf ich rasch ein, »kann sie sich besser an dich erinnern. Sie hat nämlich eine Menge Kinder, um die sie sich kümmern muss. Du bleibst trotzdem Yewa, und ich bleib Kotchikpa …«
»Ja und nein, Pascal«, unterbrach mich Mama mit überaus sanfter Stimme. »Es wäre besser, wir benutzen nur noch einen einzigen Namen, um jede Verwirrung zu vermeiden. Ich bin sicher, deine Schwester wird das verstehen.«
»Ja, Mama«, sagte ich und nickte.
Ich spürte, in meinem Versuch, ihr zu helfen, war ich zu weit gegangen. Mit einem Stich des Bedauerns änderte ich meine Lage und hielt mich am Bettpfosten fest, um meine Verlegenheit zu kaschieren.
»Mary?« Mit einem breiten Lächeln testete Mama den Namen.
Yewa nickte verlegen, während sie mich weiter unverwandt ansah. Ich nickte übertrieben heftig zurück, zum einen, um meine unglückliche Erklärung von eben vergessen zu machen, zum anderen, um Yewa zu signalisieren, dass alles in Ordnung war. »Mary ist ein schöner Name«, sagte ich. »Wirklich schön.«
»Du bist so lieb«, sagte ihr Mama. »So gehorsam und respektvoll gegenüber deinem älteren Bruder … Tut mir leid, dass ich dich zum Essen wecken musste. Ist das okay, Mary?«
»Weiß nicht«, sagte Yewa und wandte ihre Aufmerksamkeit dem Essen zu.
»Sie kann ziemlich stur sein«, sagte ich Mama. »Sie braucht einfach nur ein bisschen Zeit.«
»Ich finde nicht, dass sie stur ist«, antwortete Mama. »Mary ist ein gutes Mädchen, und wir haben Zeit genug.«
Mit dem Zeigefinger folgte Yewa den Umrissen des Coca-Cola-Logos auf der Dose. Gerade wollte sie den Finger ablecken, als Mama nach ihrer Hand schnappte. »O nein, Mary!«, sagte sie und schüttelte den Kopf, »du kannst haben, was du willst …«
»Ja, Mama«, erwiderte sie.
»Das ist alles für dich, Liebes. Okay, Mary?«
»Ja, Mama … Könnte ich bitte noch eine Coke haben?«
Mama machte die Coke so schnell auf, als könnte meine Schwester ihren neuen Namen ablehnen, wenn sie sich jetzt zu viel Zeit ließe, und dann goss Mama ihr die Coke in den Mund. Wie ein säugendes Lamm reckte Yewa den Kopf. Der Sprudel füllte langsam den Mund, ihre Kehle entließ ihn mit lauten Schlucken in den Magen.
Abrupt hörte Mama auf.
»Willst du noch mehr, Mary?«, fragte sie.
Keuchend antwortete Yewa: »Ja, Mama.«
Als die anderen – außer den drei Männern noch ein Junge und ein Mädchen – schließlich hereinkamen und sich aufs Bett setzten, wurde es voll. Mama hatte Couscous und Eintopf auf einen Teller gehäuft und löffelte Yewa davon in den Mund. Meine Schwester aß wie ein hungriger Hund und ließ den Löffel keinen Moment aus dem Blick. Es war heiß hier drinnen, und obwohl Big Guy Fofo Kpee bat, die beiden Fenster zu öffnen, wallten weiterhin appetitliche Gerüche durchs Zimmer.
»Und? Wie geht es euch, meine Kinder?«, fragte Papa mit dröhnender Stimme, und Mama nannte ihm stolz unsere neuen
Namen; dann stupste sie mich an, damit ich seine ausgestreckte Hand schüttelte. »Hallo, Pascal«, sagte er und umschloss meine Finger.
»Guten Abend, Sir«, sagte ich.
»Ich bin Monsieur Ahouagnivo.«
»Schön, Sie kennenzulernen,
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