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Sag, dass du eine von ihnen bist

Sag, dass du eine von ihnen bist

Titel: Sag, dass du eine von ihnen bist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwem Akpan
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Richtung der einige Kilometer entfernten Stadt Lupa verschwunden war. Er war schon den ganzen Tag fort, um Schwarzmarktdiesel für die lange Fahrt zu organisieren; die Schaffner hielten die Türen zum Luxusbus seit dem frühen Morgen verschlossen. Diesel war selten geworden im Land. Autos mussten oft tagelang an den Tankstellen anstehen.
    Die ruhelose, ständig weiter anschwellende Menge umwogte den Bus mit seinen roten, zugezogenen Vorhängen; und da der Harmattan-Dunst die Sonne schon verdunkelte, noch ehe sie am Horizont versank, lag nur noch ein letzter, verglimmender Schimmer auf der dunklen, dreifarbigen Karosse. Ein Halbkreis aus Läden und Lokalen umringte den Busbahnhof; die meisten enthielten kaum noch Ware, andere waren aus Furcht vor Plünderungen einfach geschlossen worden. Müde und trübsinnig hockten auf ihren Veranden Reisende, zu mutlos oder hungrig, um beim Bus auszuharren. Die großen Schlaglöcher auf dem unebenen, ungepflasterten Platz waren sandig wie ein Flussbett in den Trockenmonaten.
    Jenseits des Bahnhofs erstreckte sich die mit rötlichem Harmattan-Staub bedeckte Savanne in alle Richtungen wie ein endloser Ozean, aus dem Lupa sowie einige weitere Dörfer und Städte wie kleine Inseln aufragten. Über die Savanne verteilt standen ein paar hohe, immergrüne Bäume, obwohl hier meist nur kleine, gedrungene Bäume wuchsen. Und selbst die standen so weit auseinander, als hätten sie nichts für ihre Nach
barn übrig. Das Laub war abgefallen; wie tausend krumme Finger reckten sich die Äste in den Himmel. Außer den Bäumen gab es noch Büsche und in der Trockenzeit versengtes Gras nebst weiten Flächen verbrannten Unterholzes überall dort, wo die Dorfbewohner ihren jährlichen Buschbrandirrsinn veranstaltet hatten.
    Jubril hatte versucht, das Babel der auf dem Busbahnhof gesprochenen Sprachen aufzunehmen. Er war nicht zum ersten Mal an einem Ort, an dem mehrere Sprachen gesprochen wurden, doch schien ihre Vielzahl heute nur zu unterstreichen, wie fremd er sich fühlte. Auch wenn er wusste, dass sich keine Hausa-Fulani am Busbahnhof aufhielten und hier deshalb kein Hausa gesprochen wurde, sehnte er sich danach, seine Sprache zu hören. Er spitzte die Ohren und wünschte sich, es wäre wie auf dem Bawara-Markt in Khamfi, auf dem man sich gleichzeitig in den mehr als zweihundert Sprachen seiner Heimat zu unterhalten schien. Doch wegen der vielen Ibos, die in ihre Heimat im Südosten flohen, wurde hier hauptsächlich Ibo gesprochen. Außerdem hörte er die Minderheitensprachen der Deltastämme, sogar die der Minoritäten aus dem Norden, die sich in die angestammten Gebiete ihrer Vorfahren zurückzogen, wo immer diese auch liegen mochten. Wer Englisch sprach, tat dies mit dem für seinen Stamm typischen Akzent – der sich ausnahmslos von Jubrils Akzent unterschied. Und je aufmerksamer er der lärmenden Menge lauschte, desto deutlicher wurde ihm, dass es keine bessere Tarnung für ihn gab, als möglichst wenig zu reden.
    Um sich nicht länger allzu fremd zu fühlen, durchwühlte er seine Tasche und fischte den Zettel hervor, auf den er den Namen jenes Dorfes im Delta geschrieben hatte, in dem sein Vater geboren worden war. Stumm las er ihn sich mehrere Male vor. Er wusste, dass ihn sein Akzent verriet, wenn er ihn laut aussprechen musste, weshalb er Mallam Abdullahi, den guten Samariter, gebeten hatte, den Namen klar und deutlich aufzu
schreiben. Mallam hatte ihm auch bei den übrigen Reisevorbereitungen geholfen.
    Vor vielen Jahren hatte Jubrils Mutter – als besäße sie die unheimliche Fähigkeit, die Zukunft vorhersehen zu können – trotz Jubrils Unmut, immer wieder gesagt, dass sein Vater aus einem Ölförderdorf im Deltagebiet stammte und dass ihn die Verwandten seines Vaters beschützen würden. Bis heute wusste er nichts weiter über diesen Ort, doch kam er sich mit diesem Zettel wie jemand vor, der jeden Moment etwas Bedeutsames entdecken mochte, etwas, das ihm zu jener Identität verhelfen würde, die ihm sein geplagtes Land nicht geben konnte. Selbst in friedlichen Zeiten wäre dieses Gefühl von Abenteuer für ihn nicht leicht zu ertragen gewesen, auf seiner Flucht aber bedrückte es ihn wie eine zusätzliche Last. Wäre er doch nur früher schon einmal hingefahren.
    Wie ein Gefangener, der darauf wartet, aus dem Gefängnis entlassen zu werden, hatte er sich den ganzen Tag lang nach der Abfahrt des Busses gesehnt. Er hatte mit der Menge gewartet, hatte gewusst, dass er nicht

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