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Sag, dass du eine von ihnen bist

Sag, dass du eine von ihnen bist

Titel: Sag, dass du eine von ihnen bist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwem Akpan
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dazugehörte, dass er ein leichtes Ziel für jene Gewalt bot, die in seinem Land vereinzelt aufflammte, dass ihn schon so eine Kleinigkeit wie sein Akzent verraten konnte. Er gehörte zu denen, die ihre Familie während der Sharia-Unruhen in Khamfi verloren hatten. Und viele Male hatte ihn auf dieser Reise das Ausmaß der Tragödie so schockiert, dass es ihm einfach nicht gelang, sich an die genaue Reihenfolge der Ereignisse zu erinnern, die ihr vorausgegangen waren. Er wusste, dieser Bus war für ihn der einzige Weg in Sicherheit, und er gab sich alle Mühe zu vergessen, was ihm widerfahren war, vergaß selbst den Hunger, der seit zwei Tagen die Zähne in seinen Bauch schlug. Dann und wann aber brach die Verzweiflung durch, so dass er sich auf die schmalen, trockenen Lippen biss. Und in einer allerletzten Anstrengung, die Tränen zu unterdrücken, presste er manchmal die Lider zusammen.
    Trotz seiner Erschöpfung hielt er sich nahe beim Bus auf und wollte nicht wie so viele seiner Landsleute auf den Veranden der Läden und Lokale sitzen oder sich auf nackter Erde der Müdigkeit überlassen. Seine Mitreisenden erinnerten ihn an Ertrinkende, die sich an alles, was sich bot, festzuklammern versuchten, ehe die Katastrophe sie davonfegte. Manche kamen mit Frau und Kind, manche hatten alles verloren, sogar ihren Verstand.
     
    Zum ersten Mal in seinem Leben machte es Jubril nicht wütend, dass hier überall Frauen waren. Als ihm das bewusst wurde – nicht allein ihre Anwesenheit, sondern auch die Tatsache, dass er überhaupt nicht auf sie reagierte –, hatte er sich schon eine ganze Weile in der Menge aufgehalten. Noch drei Tage zuvor wäre das unmöglich gewesen. Lieber wäre er tausend Kilometer zu Fuß gelaufen, als mit einer Frau im selben Gefährt zu sitzen. In seinem Viertel in Khamfi war es für einen Mann nicht einmal erlaubt, die eigene Frau oder Tochter auf dem okada , dem Fahrrad, mitzunehmen. Jetzt war ihm, als erlebte er die Nähe dieser Frauen wie in einem Traum, ein Traum, in dem er jede Sünde begehen, aber von seinem Gewissen oder der hisbah , der Sharia-Polizei, dafür nicht belangt werden konnte.
    Plötzlich schienen die Frauen überall zu sein. Im Gedränge pressten sich manche an ihn. Meist trugen sie lange Hosen oder Shorts, einige bedeckten nicht einmal den Kopf. Wie eine seltsame, süße Melodie trug ihm der Harmattan-Wind die Stimmen der jungen Mädchen zu.
    Seine gleichgültige Haltung zu diesen christlichen Frauen wich erst dem Humor, dann der Ironie. Er fand, mit ihrem Make-up und den eng sitzenden Hosen sahen sie einfach komisch aus, und er ertappte sich dabei, dass er dachte, wie viele hijab und niqab und abaya wohl nötig wären, ihre Blößen zu bedecken; er zuckte mit den Achseln. Gleich darauf stellte er
sich vor, wie er über sie lachte, und in ihm regte sich die Ahnung eines angenehmen Gefühls, nicht vom Anblick der Frauen, nein, sondern weil er so gut auf die Situation reagiert und sich nicht verraten hatte. Er wurde immer sicherer, dass er diese Reise überleben konnte, solange es ihm gelang, sich insgeheim über die merkwürdigen Umstände lustig zu machen. Diese Einsicht bereitete ihm den ersten unbeschwerten Moment seit seiner Flucht aus Khamfi, eine echte Erlösung von der Angst, die seiner Seele so zugesetzt hatte.
    Mit jeder Pore seines Körpers sog er dieses Gefühl in sich auf und prüfte mit raschem Blick die Menge, als müsste er bloß noch mehr Frauen und Mädchen sehen, um froh zu werden oder auf eine sichere Reise zu vertrauen. Bald brauchte er nicht mehr gegen die Tränen anzukämpfen. Laut wie ein Irrer wollte er lachen, doch er zügelte sich. Was, wenn diese Christen ihn fragten, warum er lachte? Nein, haba , wegen irgendwelcher Frauen würde er die Selbstbeherrschung nicht verlieren. Er fände es entsetzlich, wenn er, nachdem er sich so gut verkleidet und die Reise bis hierher geschafft hatte, einer Meute wild entschlossener Weiber zum Opfer fiele. Und er betete, Allah möge ihm, sollte es hart auf hart kommen, die Gnade gewähren, in fremden Lebensweisen, von denen er sich provoziert fühlte, weder einen Quell der Verärgerung noch der Versuchung, sondern nur einen Anlass zum Lachen zu sehen.
    Jubril blickte sich immer noch nach den Frauen um und achtete insbesondere auf ihre unglaublich unterschiedlichen Frisuren, als die Schaffner die Passagiere an Bord baten. Alle, ob mit Ticket oder ohne, drängten sich zu den Türen. Jubril ließ sich Zeit, doch als er sich

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