Sag, dass du eine von ihnen bist
durch den Gang schob, musste er feststellen, dass bereits ein alter Mann auf seinem Platz im hinteren Viertel des Busses saß.
»'n Abend, Sir«, flüsterte Jubril und hielt sich eine Hand vor den Mund, um seinen Akzent zu verfälschen.
»Probleme?«, fragte Häuptling Okpoko Ukongo.
»Nein.«
»Gut.«
Gemächlich verstaute Häuptling Ukongo die Schachtel, aus der er Cabin Biscuits gegessen hatte, und musterte Jubril von Kopf bis Fuß. Respektvoll senkte der den Blick. Häuptling Ukongo war ein hagerer Mann mit langem, sehnigem Hals. Er trug einen großen schwarzen Filzhut jener Sorte, die man auch Melone nannte, nur ließ ihn der kleine Kopf fast wie ein Soldat mit einem zu großen Helm aussehen. Das rote, fließende Häuptlingsgewand war aus Kordsamt und mit schwarzen, brüllenden Löwen bedruckt. Hin und wieder befingerte er die drei Reihen königlicher Perlen um seinen Hals, hob eine nach der anderen an und ließ sie gegeneinanderklacken. Die Augen blickten müde und waren so tief eingesunken, dass man meinen konnte, es könnte seinen Tränen niemals gelingen, die steilen Hautfalten hinaufzugelangen, um dann vergossen zu werden.
» Abeg , Sir, ist mein Platz«, flüsterte Jubril erneut, deutete eine kurze Verbeugung an und stand dabei lächelnd direkt vor dem Häuptling.
»Was für ein Platz? … Meiner?«, fragte der Häuptling.
Jubril hatte einen leisen, fast furchtsamen Ton angeschlagen, dennoch gab er sich dabei ungewöhnlich stolz – seine rechte Hand steckte in der Tasche. Und darüber regte sich der Alte maßlos auf.
Jubril hielt den rechten Arm auffällig, fast schon überheblich vom Körper abgewinkelt. Straff umspannte die Haut den Unterarm, die Muskeln wirkten so gespannt, als umklammerte er etwas in seiner Tasche. In Wahrheit war ihm die Hand wegen Diebstahls ab dem Gelenk amputiert worden. Das wusste niemand im Bus, und es war wichtig, dass Jubril es geheim hielt. Sollten die anderen es merken, würde man wissen, dass er Muslim war – Leute wie ihn hatte man sicher schon öfter gesehen. Sein Plan, nach Süden zu fliehen, würde auffliegen. Deshalb änderte er seine Haltung auch nicht, als weitere Flücht
linge in den Bus stiegen und so heftig gegen seinen Ellbogen stießen, dass er vor Schmerz zusammenzuckte. In der linken Hand hielt er die schwarze Plastiktüte mit seinen paar Habseligkeiten.
Jubril blickte auf und sagte Häuptling Ukongo ein zweites Mal: »Mein Platz, abeg .«
»Meiner?«, kreischte der Alte, so dass der Junge erschrocken einen Schritt zurückwich und einen Mann anrempelte. Noch ehe er das Gleichgewicht wiedergefunden hatte, winkte Jubril beschwichtigend ab und mimte wie ein Amateurclown eine Entschuldigung. Einige Leute drehten sich zu ihm um.
Im Bus ging es jetzt ziemlich lebhaft zu; Flüchtlinge verstauten ihr Gepäck unter und über den Sitzen. Fünf Reihen weiter stritten sich Ijeoma und Tega, zwei Mädchen im Studentinnenalter, wegen eines Gepäckstücks. Tega, die Größere der beiden, war kohlrabenschwarz. Ein paar bunte Perlen schmückten ihre dreckigen Rastazöpfchen, weshalb Jubril immer wieder hinschauen musste, auch wenn sie schmutzig waren. Tega trug Jeans mit Schlag, einen braunen Sweater und Clogs. Ijeoma, das zweite Mädchen, hatte wie Jubril hellere Haut. Sie hatte sich das Haar zu einem Afro frisiert, hatte ein schmales Gesicht mit großen Augen und trug eine weiße Bluse, Sandalen und einen kurzen olivgrünen Rock.
Tega zerrte eine Tasche aus dem oberen Gepäckfach und meinte, das Fach gehöre dem, der darunter sitze; Ijeoma stopfte die Tasche wieder zurück und behauptete, auch wenn sie vier Reihen weiter sitze, habe sie das Recht, ihre Tasche hier zu verstauen. Kaum jemand beachtete sie.
Einen Moment lang kam es an der Tür zu einem heftigen Gerangel, als sich noch mehr Leute in den Bus zu drängen versuchten, doch die beiden Polizeibeamten, die, wie bei Luxusbussen üblich, für Sicherheit sorgten, schlossen die Tür. Draußen wurden enttäuschte Seufzer laut.
Ein wegen heftigen Fiebers in eine Decke gewickelter Mann
fragte, ob der Fahrer denn Diesel aufgetrieben habe und schon zurückgekehrt sei, was fünf Leute, deren jeweiliger Tonfall ein unterschiedliches Maß an Verdrossenheit verriet, gleichzeitig verneinten.
Einer von ihnen, ein untersetzter, ruheloser Mann, fing an, den Kranken zu beschimpfen. Emeka hatte ein rundes Gesicht mit kleinen, durchdringenden Augen; er trug ein weißes Hemd und eine schwarze Hose unter einem roten
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