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Sag, dass du eine von ihnen bist

Sag, dass du eine von ihnen bist

Titel: Sag, dass du eine von ihnen bist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwem Akpan
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Hadiya sie besuchen kam.
    Plötzlich aber betrat Selam auf Zehenspitzen den Balkon. Vor den ausgebrannten Wohnungen im Hintergrund sah sie aus wie ein Gespenst. Ihr Gesicht schimmerte blass in der Nachmittagssonne und schien so tiefe Furchen zu haben wie ein Laib hambasha -Brot. Sie sah mager aus, und in den wenigen Tagen, in denen du sie nicht gesehen hattest, war sie offenbar noch schmaler geworden. Ihre shama , ein gazeähnlicher, weißer Stoff, der sie von Kopf bis Fuß einhüllte, flatterte im Wind.
Würde sie ins Haus laufen, wenn du dich zeigtest? Wenn du dich nicht daran hieltest, was Mommy und Daddy von dir verlangte, und mit ihr redetest, würde sie dann auch ihren Eltern ungehorsam sein und dir antworten? Oder würde sie ihren Eltern petzen, die dann vielleicht zu deinen Eltern gingen? Würde sie dir wie in deinen Träumen die kalte Schulter zeigen? Vor lauter Angst hieltest du dich versteckt und hast sie mit Blicken überschüttet, wie die Sonne sie an kalten Tagen mit Licht überschüttete. Selam starrte zu deiner Wohnung hinüber, aber du hast dich nicht geregt. Sie umklammerte das Balkongeländer und sah hinab in die Straßen, sah hierhin, sah dorthin, und du hast versucht, ihrem Blick zu folgen, aus Angst, sie könnte auf Hadiya warten.
    Mommy und Daddy sagten beim Mittagessen, du solltest aufhören, so ein Gesicht zu ziehen, und nicht in deinem Essen herumstochern. Sie unterhielten sich so angeregt wie Selam und Hadiya in deinen Träumen und schenkten dir immer wieder Cola nach.
    »Morgen Nachmittag«, sagte Mommy, »fahren wir nach Addis zu unseren Verwandten.«
    »Wann kommen wir zurück?«
    »Wir sind ja noch nicht mal losgefahren!«, entfuhr es Daddy. »Was ist in letzter Zeit bloß mit dir los? Erst gestern hast du die Fernbedienung kaputt gemacht. Jetzt reiß dich zusammen!«
    »Ist schon in Ordnung, darling «, sagte Mommy beschwichtigend. Dann wandte sie sich an dich. »In einer Woche sind wir wieder da. Im Augenblick ist die Lage in Bahminya zu brenzlig. Kezeeh mewtat allebin  …«
    »Ich will aber nicht weg.«
    »He, wie redest du denn mit uns, Fräulein?«, erwiderte sie und schlug dabei auf den mesab , unseren handgemachten, sanduhrförmigen Tisch. »Außerdem ist es unhöflich, jemandem ins Wort zu fallen!«
    Du hast den Mund gehalten, damit sie aufhörten, dich auszuschimpfen. Du hast dich mit dem Essen beeilt, weil sie auf dich gewartet haben, hast dir ein großes Stück injera abgerissen, in die Fleischsoße getunkt und etwas Gemüse drauf gelegt. Du hast es zusammengerollt und ein Ende vom schwammigen Fladenbrot zugeklappt, damit die Soße nicht tropfte und kein Gemüse herausfiel, um dann hastig vom anderen Ende abzubeißen. Du hast Cola getrunken, hast Wasser getrunken und dich bedankt. Du bist wieder auf dein Zimmer gegangen, während sie über die Regierung geredet haben, die diese schwierige Angelegenheit aus den Nachrichten herausgehalten hat, genau wie damals vor zwei Jahren, als muslimische Radikale mit einem Mal die Christen in Jimmas Kirchen niedergemetzelt hatten.
    Am nächsten Nachmittag bist du auf den Balkon gegangen. Selam kam auch nach draußen, auf ihren Balkon. Wortlos habt ihr euch angesehen. Ihr seid dem Blick der anderen gefolgt, hinaus zu den Kaffeeplantagen, den Hügeln, der Sonne. Der Himmel war bewölkt. Von den Straßen stieg ein dumpfes Summen auf; in der Ferne brüllten zwei Esel. Frisch und stetig wehte ein leichter Wind von den Hügeln herab. Vögel säumten die Leitungen, manche dir zugewandt, manche ihr, stumm, als warteten sie auf den Startschuss eines Wettrennens.
    Langsam hob Selam eine Hand und winkte dir zu, als gehörte die Hand jemand anderem. Du hast langsam zurückgewinkt. Sie öffnete ebenso langsam den Mund und tat, als würde sie reden, und du hast mit den Lippen die Worte geformt: »Ich kann dich nicht hören.« Sie hat mit beiden Händen gewinkt; du hast mit beiden Händen gewinkt. Sie hat dir zugelächelt. Ihre Grübchen waren perfekt, wie kleine dunkle Schüsselchen in ihren Wangen. Du hast den Mund aufgemacht und gelacht, hast alle Zähne blitzen lassen. Du hast eine Umarmung gemimt. Sie schien verwirrt. Du hast den Wind mit beiden Händen umarmt und getan, als würdest du einer Freun
din einen Kuss auf die Wange drücken. Sie hat sich gleich selbst umarmt und dir einen Kuss zurückgeschickt.
    Sie sah sich verstohlen um und signalisierte, dass du besser verschwinden solltest, und lief selbst ins Haus. Du hast dich hinter die Jalousie

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