Sag, dass du eine von ihnen bist
Warteschlange begann sich aufzulösen.
»Bitte, lass uns nur fünfzig zahlen«, sagte jemand.
»Geizhals«, erwiderte der Polizist. »Wie geht das denn … von zweihundert auf fünfzig?«
»Hab nix … bin nur 'n kleiner Geschäftsmann«, erwiderte der Bittsteller.
»Okay, zahl mir hundertfünfzig, dann kannst du sofort aufs Klo«, sagte der Polizist. »Erste-Klasse-Toilette … Gespült wird nur alle vier Hintern … Und kein Händewaschen … Wasser ist echt knapp in Lupa!« Drei Flüchtlinge zahlten und gingen an denen vorbei, die kein Geld aufbringen konnten.
Nach einer Weile sagte der Polizist: »Okay, wer achtzig zahlt, stellt sich hinter der ersten Klasse an … Und wer keine achtzig hat, kneift die Arschbacken zusammen und setzt sich wieder!«
Ein Flüchtling bettelte: »Zwanzig sind nicht genug für fünfte Klasse?«
»Du tickst wohl nicht richtig. Okay, fünfzig!«
Die reduzierte Gebühr ließ einige Leute in die Warteschlange zurückkehren, unter ihnen auch Jubril. Emeka hockte auf seinem Platz, Kopf in den Händen, Tränen rannen ihm über die Wangen. Tega stand auf und hielt den Polizeibeamten eine
traurige Rede. Sie beglückwünschte sie zu ihrem Gespür für Kompromisse und dafür, niemanden erschossen zu haben. Sie sagte den Beamten, trotz der Geschehnisse im Land hoffe sie, dass sich Demokratie und Verständigung letztlich durchsetzen werden.
Als die Polizei endlich abzog, wirkten die Flüchtlinge im Bus so bedrückt wie die Horden grimmig dreinblickender Christen und Muslime, der Flüchtlinge aus dem Norden und dem Süden, die sie von den Bildschirmen anstarrten und die in Kasernen oder gruppenweise auf Feldern saßen und ihre Tränen teilten. Manche lasen Trost suchend im Koran, andere in der Bibel. Eine Frau griff nach einer kleinen schwarzen Kalebasse und hielt sie einen Moment lang an die Stirn der wenigen Familienmitglieder, die ihr geblieben waren. Andere saßen einfach nur da und waren zu schockiert, um zu irgendeinem Gott zu beten.
Manchmal, wenn die schwer bewachten Tore der Kasernen sich öffneten, um weitere Wagenladungen von Flüchtlingen aufzunehmen, schreckten sie aus dem allgemeinen Kummer auf. Und sooft Soldaten oder Polizisten in ihre Nähe kamen, zuckten sie zusammen. Würde man sie verraten, würde man sie ausliefern und niedermetzeln? Wenn Soldaten das Land regierten und Zivilisten nicht mehr sicher waren, wie sicher konnten sie dann sein, wenn man sie in Kasernen brachte? Manche Flüchtlinge hatten solche Angst, dass sie den Wachen ungefragt Geld gaben mit der Bitte, sie zu beschützen.
Jubril hatte nichts mehr gegessen, seit Mallam Abdullahi ihm ein Stück Brot gegeben hatte. Jetzt schielte er mit lüsternem Blick auf die Kekse des Häuptlings, und der alte Mann, der ihn beobachtete, bot ihm zwei Cabin Biscuits an, aber da Jubril den Absichten des Häuptlings misstraute, lehnte er erst einmal ab.
»Nimm schon, stell dich nicht an!«, sagte der Häuptling.
Doch als Jubril ihm wortlos dankte und seine Hand ausstreckte, zog der Häuptling sein Geschenk zurück. »Ich kann nicht glauben, dass du mich als Häuptling mit der Linken beleidigen willst!«
»Ich will ja gar nicht essen … bloß sitzen«, log Jubril.
»Ich bestech dich nicht, mein Sohn. Will nur freundlich sein.«
»Danke.«
Trotz seines höhnischen Verhaltens konnte Jubril dem Häuptling ansehen, dass er nicht zufrieden war und nur lustlos an seinen Keksen knabberte. Während die Kiefer langsam malmten, waren die Kaubewegungen um viele Sekundenbruchteile schneller als der auf und ab hüpfende Adamsapfel. Grelles TV -Licht wanderte über das Gesicht des Häuptlings wie ein Suchscheinwerfer über die dunklen, aufgewühlten Wasser seiner Seele.
»Achtet darauf, dass ihr auf dem richtigen Platz sitzt!«, rief der Polizist an der Tür.
»Ja«, antworteten alle im Chor.
»Wer keinen Fahrschein hat, fliegt raus – zack, zack. Und wer auf dem falschen Platz sitzt, zahlt fürs Herumlungern extra, kapiert?«
»Ja.«
»Der Fahrer kommt bald.«
Die Nachricht, dass der Fahrer bald zurückkam, wurde mit Erleichterung aufgenommen. Passagiere flüsterten mit ihren Nachbarn und setzten sich für die lang ersehnte Fahrt nach Hause zurecht. Jubril fischte das Madu-Motors -Ticket aus der Tasche, prüfte es sorgfältig und war zufrieden. Gabriel O: #52 hatte jemand darauf gekritzelt. Wie etwas unfassbar Wertvolles schob er es sich vorsichtig in die Hosentasche und lächelte vor Freude auf die Reise
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