Sag, dass du eine von ihnen bist
erklärten, dass das Rohöl eigentlich dem Norden und nicht den Leuten gehörte, die auf den Ölfeldern im Delta lebten. Wie so viele ließ Jubril sich von dem fadenscheinigen Argument überzeugen, dass die Öllager im Delta sich nur gebildet hatten, weil der Niger jahrtausendelang Sedimentschichten aus dem Norden dorthin geschwemmt hatte. Die Politiker wunderten sich, wie die Bewohner des Deltas dieses Öl jetzt als ihr Öl reklamieren konnten, und sie wunderten sich, woher sie die Dreistigkeit nahmen, die neue, demokratische Regierung um größere finanzielle Zuwendungen zu bitten. Jubril, der die Kühe an diesem Tag nicht auf die Weide gebracht hatte, applaudierte nach dieser Rede und stimmte in das Gebrüll der Menge ein. Und auch wenn er nicht gut lesen konnte, nahm er gerne zwei Exemplare ihrer Broschüre an, in denen die einschlägigen Argumente aufgeführt wurden, ein Exemplar für sich, eines für seine Mutter. Auch andere Politiker aus dem Norden kamen in die Stadt, zogen aber bei wei
tem keine so großen Zuhörerscharen an – schließlich beanspruchten sie auch nicht den Ölreichtum für den Norden und wollten keine absolute Scharia einführen.
Häuptling Ukongos höhnische Frage » Wer bist du?« schnitt daher tief in Jubrils Seele. Die Ereignisse der letzten beiden Tage hatten seiner muslimischen Identität einen kräftigen Stoß verpasst. Als Jubril aus Khamfi in den Busch lief, tobte in seinem Kopf ein Wirbelwind von Fragen: Stimmt es, Allah, was meine Mutter gesagt hat, dass nämlich jemand, der wie ich als Kind getauft wurde, für immer Christ bleibt, dass er gezeichnet ist und dass man dieses Zeichen nie mehr von seiner Seele waschen kann? Strafst du mich für diese Kindstaufe, der ich selbst nie zugestimmt habe? Du weißt, solange ich denken kann, habe ich mich durch und durch als Muslim gefühlt, und um meine Standhaftigkeit zu beweisen, habe ich Yusufs Abfall vom Glauben herausgefordert und dir meine Bruderliebe geopfert … Die Welt akzeptiert mich nicht als Nordler aus dem Süden, verdammst du mich da nun als christlichen Muslim? Obwohl Musa und Lukman mich als falschen Gläubigen attackiert haben, bitte ich dich, Allah, mir die nötige Weisheit zu verleihen, um die Christen in diesem Bus davon zu überzeugen, dass ich wahrhaftig einer von ihnen bin. Führe mich heim, Allergnädigster, führe mich zum Frieden … Allah, unsere Religion des Islam ist eine Religion des Friedens.
Plötzlich brach im Bus Chaos aus. Die unwiderstehliche Faszination der Bilder des Satellitensenders war verschwunden, ersetzt durch körnige Schwarzweißbilder von Flüchtlingen in den Kasernen der Polizei und der Armee in Khamfi. Die Bilder waren verwackelt, als zitterte der Kameramann beim Filmen aus Mitgefühl für die Qual seiner Landsleute. Sobald die Bilder sich beruhigten, konnte man Vertriebene erkennen. Sie saßen überall, auf den Feldern, den Veranden, manche liefen sogar noch in die Kasernen. Und viele von ihnen glichen den
Leuten im Bus oder auf Lukas Busbahnhof und drückten die wenige Habe an sich, mit der sie entkommen waren.
Die Passagiere sprangen auf und forschten erregt nach dem Grund, warum man auf einen anderen Sender umgeschaltet habe. Der Erste, der seine Stimme wiederfand, war Emeka. Er zeigte auf den Bildschirm und schrie: »Mein Vetter, mein Vetter … Lasst mich meinen Vetter sehen! Lasst mich meinen Freund sehen! Gebt uns den Satellitensender zurück!« Dann zeigte er auf den Polizeibeamten, der die Fernbedienung in der Hand hielt, und alle starrten den Mann wütend an. Der Beamte wedelte mit der Fernbedienung, als wäre sie Symbol der höchsten Macht.
»Was für ein Vetter? Halt den Mund!«, fuhr der Beamte Emeka an. »Hört zu, diese ausländischen Sender, die verzerren doch bloß das Bild von unserem Land. Die weißen Sender verdienen Milliarden Dollar damit, euren Krieg und euer Blut an die Welt zu verkaufen … So schlimm sind wir gar nicht. Warum zeigen sie denn keine Leichen von ihren weißen Leuten im Fernsehen? Abi , gibt's keine Leute, die für Amerika oder Europa töten?«
»Pass auf, was du sagst!«, rief jemand. » Wetin kümmern uns Amerika und Europa? Abeg , gib uns den Satellitensender zurück!«
»Weg mit den Scheißhausbildern!«, rief jemand von hinten.
»Sind unsere Kasernen jetzt Scheißhäuser oder was?«, antwortete der Polizist. »Das ist ja echt eine Beleidigung!«
»Dieser Bulle da ist echt 'n saublöder Blödmann«, sagte Monica.
»So. Kein gratis
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