Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)
Kannibale vor.
Mum und Dad ließen mich den ganzen Tag schuften, ich musste Tee und Kuchen servieren, das Geschirr abräumen und abwaschen. Ich stapelte Stühle und setzte Rasenstücke wieder ein. Derweil hörte ich das Kreischen von dem Disco Rider, sah Leute auf die Riesenrutsche klettern und hörte, wie Eltern über Lautsprecher informiert wurden, wo sie ihre vermissten Kinder abholen konnten.
Schließlich wurde ich so wütend, dass ich mich nicht mehr beherrschen konnte. Ich sagte, es wäre verdammt unfair, und erklärte Mum, sie wäre eine rachsüchtige Hexe. Dad ließ die Schultern hängen, als hätte man ihm die Luft abgelassen. Ich hatte ihn wieder enttäuscht.
Ich wurde auf mein Zimmer geschickt. Stubenarrest. Ich hörte, wie Mum und Dad darüber stritten, ob sie mich erneut wegschicken sollten. Sie sagte, ich sei völlig außer Kontrolle, er ermahnte sie, nicht überzureagieren.
Tash schickte mir per Handy eine E-Mail mit einem angehängten Foto. Sie und Emily saßen mit fliegenden Haaren in der Schiffschaukel. Ich konnte nicht mal zurücksimsen. Mein Handy war beschlagnahmt worden. Was würden sie mir als Nächstes abnehmen?
Um halb neun putzte ich mir demonstrativ die Zähne und machte mich fertig fürs Bett. Phoebe und Ben schliefen schon. Sobald ich hörte, wie Mum und Dad im Wohnzimmer anfingen, einen Film zu gucken, öffnete ich mein Zimmerfenster. Über das Dach konnte ich bis zu den alten Stallungen klettern und mich dort an dem Baum auf den Holzstapel hinablassen. Als ich durch den Garten ging, verstummten Frösche und Grillen. Ich schlüpfte durch das Seitentor und war nur zwei Minuten vom Stadtpark entfernt.
Tash und Emily waren in der Nähe des Bungee-Trampolins. Sie waren Achterbahn gefahren und lachten darüber, wie ihre Kleider bei jedem Looping hochgeflattert waren.
Es war erst neun, und die Kirmes dauerte bis Mitternacht. Wir schlenderten Arm in Arm zwischen den Fahrgeschäften hin und her. Tash war in ihrem Element, klimperte mit den Wimpern und warf ihr Haar in den Nacken. Jungen und erwachsene Männer starrten sie an, manche wie kleine Hündchen, andere wie Raubtiere.
Um kurz nach neun erhielt Emily den Anruf, dass ihre Mutter ins Krankenhaus gebracht worden war. Es war nicht das erste Mal. Wir gewöhnten uns langsam daran, dass Mrs Martinez krank war. Ich weiß noch, dass ich mir gewünscht habe, meine Mum würde auch mal ins Krankenhaus kommen. Deswegen habe ich auch heute noch ein schlechtes Gewissen.
Tash schob die Hand in ihren Slip, zog ein kleines Pillendöschen heraus, fasste meine Hand und führte mich hinter eins der Zelte.
»Ich hab nur eine. Wir müssen sie uns teilen.«
Sie steckte die Tablette in den Mund, schob ihren Arm unter meinen und küsste mich, wobei sie ihre Zunge fest gegen meine presste, bis die Tablette zerkrümelte und sich auflöste wie Aspirin. Sie löste sich kichernd von mir. Meine Wangen glühten.
»Ich glaube, das hat dir gefallen«, neckte sie mich. Ich spürte, wie das Ecstasy mich mit chemischer Freude erfüllte. Ich konnte die Musik schmecken, die in meinem Kopf sprudelte wie ein Zitronensorbet.
Tash fasste wieder meine Hand.
»Lass uns schwimmen gehen.«
»Aber das Schwimmbad ist geschlossen.«
»Ich weiß, wie wir reinkommen.«
Sie meinte das Freizeitzentrum. Sie zog mich am Arm hinter sich her. Der Gedanke, mit ihr schwimmen zu gehen, ließ mich innerlich vor Glück flattern. In der Nähe des Eingangs zum Stadtpark redeten ein paar Teenager mit der Polizei. Tash steuerte uns um sie herum, und dann rannten wir den ganzen Weg bis zum Freizeitzentrum.
Es war ein heißer Abend voller Insekten und dem Geruch von Geißblatt und Jasmin in der Luft. Alle meine Sinne schienen geschärft. Ich hätte schneller rennen können als jemals zuvor.
Das Einzige, was mir seltsam vorkam, war meine Stimme. Sie klang nicht wie ich.
»Wir müssen hier weg«, sagte Tash mit dem erschöpften Gehabe einer gelangweilten Hausfrau. »Es ist alles so klein und engstirnig und …«
»Langweilig?«
»Wenn wir nicht abhauen, werden wir vor Langeweile verrückt. Wir sitzen in der Falle. Wir heiraten, werden schwanger, kaufen ein Haus, und dann kleben wir hier fünfzig Jahre lang fest wie unsere Eltern.«
Sie wirbelte mit ausgebreiteten Armen über die Straße und rief: »Wir werden frei sein!« Sie drehte sich immer weiter im Kreis, bis sie schwindelig und unkontrolliert lachend ins Gras sank.
Im Freizeitzentrum gibt es zwei kleine Außenbecken und ein
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