Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)
blickt und die Straße überquert. Mein Unbehagen wird größer, schwillt an wie der Schlag einer Kriegstrommel, dumpf, monoton und jeden Tag lauter.
Auf der anderen Straßenseite bleibt Emily noch einmal stehen und sieht sich um. Für den Bruchteil einer Sekunde hält sie meinen Blick fest, wie aus Angst, etwas zurückgelassen zu haben. Aber dann geht sie weiter, entschlossen, nicht umzukehren.
Mein Dad hat mir einmal erzählt, dass Menschen
in Situationen auf Leben und Tod manchmal erstaunliche Dinge leisten können. Mütter können Wagen anheben, unter denen ihr Baby eingeklemmt ist, und Leute haben schon Stürze aus Flugzeugen überlebt.
Wenn es so weit ist, kann ich vielleicht auch etwas Erstaunliches tun. Doch jedes Mal wenn ich daran denke, den spitzen Stab in George zu rammen, schnürt sich mir die Kehle zu. Es fühlt sich an wie ein Herzinfarkt, obwohl ich nicht weiß, wie sich ein Herzinfarkt anfühlen soll. Ich stelle es mir vor wie Sodbrennen, nur tausendmal schlimmer, weil man von Sodbrennen ja nicht stirbt.
Ich weiß, dass das eine Panikattacke ist. Es ist nicht meine erste. Tash hat mir immer geholfen, sie durchzustehen. Sie hat eine Tüte vor meinen Mund gehalten und mich dazu gebracht, langsam zu atmen, oder mir über den Rücken gerieben und gesagt, ich solle mir etwas vorstellen, was mich glücklich gemacht hat, einen Ort oder eine Person.
Das mache ich jetzt. Ich liege an einem wunderschönen sonnigen Tag auf dem Rasen neben unserem Teich. Phoebe ist neben mir. Ich habe ihr eine Krone aus Kleeblättern gemacht und eine passende Halskette und ein Armband. Mum ist in der Küche und macht Hühnchen Kiew, das ist mein Lieblingsessen.
Ich weiß, das klingt kitschig wie eine Szene aus einer Waschmittelwerbung, doch es lenkt mich von der Panikattacke ab. Nach ein paar Minuten atme ich wieder normal. Ich gehe zum Waschbecken und wasche mir das Gesicht. Ich bringe Wasser in einem Topf zum Kochen, gebe die Nudeln und einen Teelöffel Öl hinzu. Hinterher bekomme ich nur ein paar Bissen herunter. Ich bin zu nervös zum Essen.
Ich blicke zu der Falltür auf und lausche. Wenn nicht heute, dann wird er morgen kommen.
Ich habe die leere Bohnendose ausgewaschen und benutze sie als Hörgerät. Ich halte sie gegen die Wand und lege mein Ohr an den Boden in der Hoffnung, Tash auf der anderen Seite zu hören. Ich stelle mir sogar vor, dass sie das Gleiche tut und nach mir lauscht. Unsere Köpfe könnten sich beinahe berühren.
An dem Abend, als wir endgültig beschlossen haben abzuhauen, haben sich unsere Köpfe berührt, und wir haben uns gegenseitig Versprechungen gemacht. Ich dachte immer, Tash wäre unverwüstlich, doch an diesem Abend zersplitterte sie in unzählige kleine Stücke, und ich gab mir alle Mühe, sie wieder einzusammeln.
Sie hatte seit Aiden Fosters Prozess davon gesprochen abzuhauen. Dass sie von der Schule geflogen war, lieferte lediglich den Zeitplan. Wir hätten noch einen Sommer in Bingham, sagte sie. Wenn die Schule wieder anfing, müssten wir weg sein.
Das Summer Festival war am letzten Ferienwochenende. Im Stadtpark waren Karussells, Stände und andere Attraktionen aufgebaut. Der Ponyclub von Bingham war vertreten, und Reverend Trevor war Preisrichter eines Dressurwettbewerbs.
Der ganze Tag sollte ein großes Fest sein. Er begann mit einem morgendlichen Tee im Garten des Old Vicarage – eine der Traditionen, die fortzuführen Mum und Dad sich verpflichten mussten, als sie das Haus kauften. Laut Heimatforschern (damit meine ich Wichtigtuer) wird in dem alten Pfarrhaus angeblich seit hundertzweiundsechzig Jahren alljährlich ein morgendlicher Tee für die Landwirtschaftsgehilfen und Bewohner des Städtchens ausgerichtet.
Ich weiß nicht genau, was ein Landwirtschaftsgehilfe ist, doch die meisten Besucher waren alte Schachteln aus der Kirche, die an langen Tischen im Garten saßen. Es gab Scones, Biskuitkuchen, Trifles und Sommerpuddings, die zum Schutz vor Fliegen und gierigen Fingern mit Baumwolltüchern abgedeckt waren. Jasmine Dodds brachte ihr neugeborenes Baby mit, das einen schuppigen Kopf hatte, als ob es sich häuten würde, was jedoch niemanden davon abhielt, über jeden seiner Rülpser in Verzückung zu geraten. Jasmine war mein Babysitter, als ich klein war.
Um Mittag baute Mr Swanson, der Metzger des Dorfes, einen Spieß auf und röstete ein Schwein, das wie ein nackter Mensch aussah. Als mir das Wasser im Mund zusammenlief, kam ich mir unweigerlich wie ein
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