Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)
von Atomwaffen und als Nebenprodukt in Nuklearreaktoren an. Es ist ein Schadstoff, der in großen Dosen Krebs, erbliche Missbildungen und genetische Mutationen hervorrufen kann.«
»Wo wurde sie kontaminiert? In den Radley Lakes?«
»Das ist ein Naturschutzgebiet. Das Wasser dort wird regelmäßig getestet. Eine Kontaminierung dieses Ausmaßes wäre bemerkt worden.« Er steht auf und geht zu seinem Schreibtisch. »Ich habe mit jemandem von der Behörde für die Stilllegung kerntechnischer Anlagen gesprochen. Er wollte mir zuerst nicht glauben. Er sagte, eine Belastung durch Tritium sei hierzulande praktisch unbekannt, es habe allerdings einige versehentliche Freisetzungen in das Kühlwasser von Atomkraftwerken und das Abwassernetz gegeben.«
»Sie wollen also sagen, dass Natasha irgendeiner Form von nuklearem Abfall oder ausgelaufenem Kühlwasser ausgesetzt war?«
»Ja.«
»Aus einem Atomkraftwerk?«
»Das ist die wahrscheinlichste Quelle.«
»Das Elektrizitätswerk in Didcot?«
»Didcot ist Kohle und Öl«, sagt Leece.
»Wo dann?«
»Ich dachte an Harwell. Es ist nur sechzehn Meilen südlich von hier.«
»Ist das nicht schon vor Jahren stillgelegt worden?«, frage ich.
»Die letzten drei Reaktoren wurden 1990 stillgelegt, die Flächen dekontaminiert, doch es gibt immer noch drei Lagerstätten für radioaktiven Abfall. Es wird weitere zehn Jahre dauern, bis die aufgeräumt sind.«
Dr. Leece klappt seinen Laptop auf und ruft die Ergebnisse einer Internetsuche auf. Harwell war Großbritanniens erster Atomreaktor, gebaut in den 1940ern, als die Regierung dem Atomic Energy Research Establishment einen Luftwaffenstützpunkt überließ.
»Behandeltes Kühlwasser aus dem alten Atomkraftwerk wurde an die Themse zu einem Ort namens Sutton Courtenay gepumpt, der nur ein paar Kilometer südlich der Radley Lakes liegt.«
Er ruft Google Earth auf. Ein Bild des Planeten, wie aus dem Weltraum aufgenommen, erscheint auf dem Bildschirm. Die Kamera stürzt auf seine Oberfläche zu, fällt auf Oxfordshire, bremst, bleibt stehen, stellt scharf.
»Es gibt außerdem noch diese Anlage«, sagt Dr. Leece. »Das Culham Science Centre ist ein Forschungslabor, das im Rahmen des Joint-European-Torus-Projekts an der Kernfusion forscht.«
»Wo liegt das?«
»Etwa eineinhalb Kilometer südlich der Radley Lakes.«
»Das Tritium könnte also auch von dort stammen?«
»Ich sage bloß, es wäre eine Möglichkeit.«
Ich blicke auf den Bildschirm. Die Hauptbahnlinie von Oxford nach Didcot führt an dem Forschungszentrum vorbei. Natasha McBain könnte in dem Schneesturm den Gleisen gefolgt sein, um nach Hause zu kommen.
»Weiß DCI Drury davon?«
»Ich habe ihm eine Nachricht hinterlassen.«
»Da sollten sie suchen.«
»Jetzt suchen sie gar nicht mehr – nicht während der Feiertage.«
Ich wache zitternd auf.
Ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen habe. Ich kann meine Zehen und Füße nicht spüren. Das Blut an den Knien ist getrocknet, doch als ich sie beuge, platzen die Wunden wieder auf.
George hat gesagt, es ist Heiligabend. Ich habe geträumt, meine Familie würde um einen Tisch sitzen: Dad, Mum, Phoebe. Ben, Opa und die kleine Schwester, die ich noch nicht kenne.
Ich robbe bis zum Rand des überhängenden Felsens. Der Boden ist feucht und kommt mir kälter vor, kalt genug für Schnee.
Ich klettere aus der Spalte, spähe über die Felsen hinweg zu dem Pfad. Ich kann George nirgendwo sehen oder hören. Die Bäume über mir sehen aus wie Kohlezeichnungen.
Ich nehme die Jacke, klopfe das Laub ab und stecke die Arme in die Ärmel. Sie ist mir viel zu groß. Ich krempele die Ärmel hoch und schiebe die Hände tief in die Taschen. Die Jacke riecht nach George.
Meine Finger berühren sein Handy. Ich bin so überrascht, dass ich es beinahe fallen lasse. Ich halte es mit beiden Händen, wende es und suche den Einschaltknopf. Das Display leuchtet auf und begrüßt mich mit Musik. Die Signalanzeige hat keinen Balken. Vielleicht habe ich weiter oben Empfang.
Auf dem Weg die Böschung hinauf stolpere ich immer wieder über den Saum der Jacke. Ich muss sie hochschieben und unter den Armen festklemmen, was das Klettern noch schwieriger macht, weil ich mich nicht an Bäumen festhalten kann.
Als ich den Weg erreiche, kauere ich mich hinter einen Felsen und blicke in beide Richtungen. Ich kann ihn nicht sehen. Ich will nicht dorthin zurücklaufen, woher ich gekommen bin, also folge ich dem Pfad weiter weg von der Fabrik und halte
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