Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)
SCHUTZBRILLEN BENUTZEN . Aus einem Schaltfeld mit grünen und roten Knöpfen sind die Kabel herausgerissen worden.
Eine verrostete Wendeltreppe führt in den fünf Meter höher liegenden ersten Stock. Ein schräg unter die Stufen geklemmter, alter Kessel verdeckt eine dahinterliegende Tür. Moretti geht voran und zieht zwei Tonnen beiseite, in denen unbekannte Flüssigkeiten schwappen.
Der zweite Raum ist kleiner mit einem Tisch, zwei Stühlen, einem Doppelbett, einer Badewanne und einem Boiler, der mit einem Holzfeuer beheizt wird. Jemand hat alle Oberflächen mit einem Bleichmittel oder einer anderen chemischen Reinigungslösung abgespritzt. Der beißende Gestank setzt sich in meiner Kehle fest und will meine Lunge verätzen.
Es ist derselbe Geruch wie in dem Bauernhaus, in dem die Heymans gestorben sind.
»Was ist oben?«, fragt Drury.
»Mehr oder weniger das Gleiche.«
»Zeigen Sie es mir.«
Die klappernde Metalltreppe lässt den Putz rieseln, als die beiden hinaufsteigen. Ich bleibe mit DS Casey unten und gehe noch einmal durch den Raum. Die altmodische Badewanne wurde mithilfe eines Flaschenzugs aufgestellt. Die Seile haben Spuren an den Rohren unter der Decke hinterlassen. Auf dem Wannenrand liegt ein Rasierer. In einem Regal daneben stehen Fläschchen mit Shampoo, Schaumbad und dergleichen.
Das Laken von der Matratze auf dem Sprungfederrahmen ist abgezogen worden; um eines der Metallbeine des Bettes ist eine Kette geschlungen. Sie ist einen halben Zentimeter dick und hat am anderen Ende eine mit einem Vorhängeschloss gesicherte Ledermanschette mit Schweißflecken. Die Manschette ist verstellbar, um je nach Bedarf um das Handgelenk oder den Hals eines Menschen zu passen.
Neben dem Bett steht eine Holztruhe mit einem gewölbten Deckel. Mit einem Stift klappe ich sie vorsichtig auf. Auf den ersten Blick sieht sie leer aus, doch dann entdecke ich ein schmales Stück Stoff, das an einer der losen Angeln hängt, ein Spitzentanga.
DS Casey öffnet eine Plastiktüte, und ich lasse den Slip hineinfallen.
Das Bettzeug ist in eine Ecke geworfen und angezündet worden. Ich hocke mich neben den verkohlten Haufen und hebe mit dem Stift ein klebriges Stück Stoff an. In der Asche darunter liegen die Ecke eines Pizzakartons und eine leere Aluminiumschale. Daneben fällt mir noch etwas ins Auge – eine gut zwei Zentimeter große, verschmorte Plastikfigur, ein Stationsvorsteher mit einer blauen Weste, der eine Flagge in der Hand hält.
»Ich brauche noch eine Plastiktüte«, sage ich.
»Was ist das?«
»Ein Sammlerstück.«
Ich richte mich wieder auf und sehe mich um. Irgendwas stört mich, doch ich kann nicht sagen, was. Ich lasse den Blick durch den Raum schweifen. Jeder, der dieses Gebäude betritt, hätte die Tür unter der Treppe problemlos finden können. Und auch der zweite Raum ist nicht besonders sicher oder schalldicht. Das Bett hat nur eine Fessel, obwohl es zwei Gefangene gab. Er konnte unmöglich beide Mädchen permanent im Auge halten. Wie hat er sie kontrolliert?
Natasha hatte sich vor ihrem Tod Abschürfungen an den Hüften zugezogen. Dr. Leece vermutet, dass sie sich vielleicht durch eine schmale Öffnung wie zum Beispiel ein Fenster gezwängt hat. Doch dieser Raum hat keine Fenster.
»Sind Ihnen die Rohre an der Außenmauer aufgefallen?«, frage ich.
Casey schüttelt den Kopf.
Ich gehe durch den Raum und schiebe mehrere Kisten beiseite und bemerke einen leeren Metallschrank. In dem Beton sind Schrammen zu erkennen, wo er über den Boden geschleift wurde.
»Helfen Sie mir mal.«
Casey fasst mit an, und gemeinsam ziehen wir den Schrank von der Wand. Dahinter verbirgt sich eine Falltür mit einem Kordelgriff. Ich knie mich hin und ziehe sie mühsam auf. Darunter klafft ein dunkles Loch.
»Geben Sie mir Ihre Taschenlampe.«
Ich kauere über dem Loch und richte den Strahl der Lampe nach unten. Staubflocken tanzen im Licht, als sich das Verlies Stück für Stück enthüllt wie ein Puzzle, das in der Hölle gemacht wurde: zwei Pritschen, ein Tisch, Stühle, Regale, ein Waschbecken, Zeitschriften, ein Topf, ein Nachttopf, dünne graue Decken. Verstreute Kleidung.
Die Leiter reicht nur halb bis zur Decke. Hoch über dem Waschbecken gibt es ein Fenster. Verschlossen. Es sieht aus, als wäre es zu klein, um sich hindurchzuzwängen.
Der Strahl der Taschenlampe wandert weiter. Ich entdecke ein Poster vom Brighton Pier und eine Collage aus Bildern, die aus Zeitschriften herausgeschnitten wurden.
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