Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)
In den Regalen stapeln sich Konservendosen. Neben dem Gasbrenner steht ein Glas mit Teebeuteln.
Als ich sicher bin, dass der Keller leer ist, wende ich mich ab und will unbedingt hier raus und weg.
Es hat wieder angefangen zu regnen, und ich habe keinen Schirm. Ich entferne mich von dem Gebäude, steige eine Böschung hinauf und blicke vom Rand des Steinbruchs auf das Gelände hinunter. Mit gesenktem Kopf und hängenden Armen lasse ich den Regen über meinen Kopf, meine Brauen und mein Gesicht rinnen. Ich habe die Natur nie verehrt. Ich kann ihre Schönheit schätzen, ihre Launen jedoch nicht nachvollziehen. Die Natur kann entsetzliche Dinge anrichten, und dennoch überdauert sie, unbewegt von menschlichem Leid.
Unten strömen Männer und Frauen in blauen Overalls auf das Gelände und folgen einem Pfad durch das Brombeergestrüpp. Sie suchen nach Blut, ballistischen Spuren, Fingerabdrücken und Körperflüssigkeiten – Überbleibsel des Todes, Zeichen des Lebens.
Piper war hier. Sie ist ihm entkommen, doch er hat sie aufgespürt. Was wird er jetzt machen? Wenn dieser Mann nicht eine besondere Bindung zu Piper entwickelt hat, wenn sie für seine Fantasien nicht unverzichtbar geworden ist, ist sie entbehrlich, ein weiteres loses Ende, das es zu kappen gilt.
Ich blicke in den Himmel und suche vergeblich nach einem Stern hinter der dichten Wolkendecke. Die Bibel sagt, dass vor zweitausend Jahren drei weise Männer einem Stern gefolgt sind und einen Erlöser in einer Krippe gefunden haben. Ich glaube nicht an Wunder, doch Piper Hadley braucht heute Nacht eins.
Zuerst haben die Scheinwerfer mich geblendet.
Erst als die Fahrertür aufging und er ins Licht trat, wusste ich, dass er mich gefunden hatte. Ich hatte keine Kontrolle mehr über mich. Der Regen lief an meinen Beinen herunter in meine Schuhe.
Ich konnte nicht rennen. Ich konnte nicht schreien. Ich war völlig leer, sämtliche Kräfte waren aufgebraucht. Er nahm meine Hand und führte mich zum Wagen. Er wickelte Klebeband um meine Hände und gab mir zwei kleine weiße Tabletten zum Schlucken.
Sanft wie ein Lamm ließ ich mich in den Kofferraum legen. Er klebte mir den Mund zu und zog mir einen Sack über den Kopf. Von dem Staub musste ich husten und kriegte kaum Luft. Doch dann schloss ich die Augen und schlief ein.
Ich kann mich vage erinnern, dass der Wagen angehalten und George mit jemandem gesprochen hat, doch dann fuhren wir weiter. Ich schlief ein und rechnete nicht damit, wieder aufzuwachen.
Und jetzt liege ich hier in einem wunderschönen Bett und trage einen sauberen Schlafanzug. Es ist derselbe Speicher, in dem Tash und ich zuerst waren, nachdem er uns entführt hatte. Die Möbel sind unverändert, nur der Schwarzweißfernseher ist weg. Vielleicht hat er ihn weggeworfen.
Ich weiß nicht, wie ich die Treppe hochgekommen bin. Und ich habe mich nicht bewegt, seit ich aufgewacht bin. Erschöpfung drückt mich in die weißen Laken wie ein Insekt, das an ein Stück Karton geheftet ist. Bei einem Schulausflug nach London war ich mal im Museum of Natural History. Wir wurden in die Entomologie-Abteilung geführt, wo es einhundertvierzigtausend Schaukästen mit achtundzwanzig Millionen Exemplaren gibt. Ich wusste gar nicht, dass es so viele verschiedene Insekten auf der Welt gibt. Ich mag keine Insekten, aber ich schlage sie seither nicht mehr tot.
Ich bin so müde. Ich will nur schlafen. George kann machen, was er will. Es kümmert mich nicht mehr.
Irgendwann später wache ich auf und erinnere mich daran, geschrien zu haben, doch das Geräusch ist verhallt und das Zimmer voller Schatten.
»Ist da jemand?«, frage ich.
Keine Antwort.
»Reden Sie mit mir, bitte.«
»Was soll ich denn sagen?«, fragt George.
Er sitzt auf dem Stuhl zwischen dem Kleiderschrank und dem Fenster und lehnt sich an die Wand. Sein Gesicht kann ich nicht sehen.
»Wovon hat dein Albtraum gehandelt?«
»Ich hatte keinen Albtraum.«
»Doch, hattest du.«
»Ich weiß es nicht mehr.«
»Das ist komisch mit Träumen«, sagt er. »Ich erinnere mich auch nie daran.«
»Bin ich weit weg von zu Hause?«
»Wie meinst du das?«
»Ich meine, in Kilometern. Ist es weit weg?«
»Nein.«
»Könnte ich es schaffen, wenn ich den ganzen Tag gehen würde?«
»Vielleicht.«
»Sagen Sie das nur, um mich glücklich zu machen?«
»Ja.«
46
Es ist nach Mitternacht am Heiligabend, und die einzigen Geschöpfe, die sich noch rühren, ernähren sich von Kaffee aus dem Automaten und
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