Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)
er.
»Ich bleib noch ein bisschen hier.«
»Was ist mit Julianne und den Mädchen?«
»Ich ruf sie an.«
Ruiz geht, und ich wende mich wieder der Vernehmung zu. Drury hat ein Foto vor Phillip Martinez auf den Tisch gelegt.
»Erkennen Sie es wieder?«
»Nein.«
»Sehen Sie es sich genauer an.«
»Was ist das?«
»Dort haben Sie Piper und Natasha gefangen gehalten. Sie haben versucht, alles sauber zu machen, waren aber nicht besonders gründlich. Man braucht nur eine Hautzelle, um ein DNA -Profil zu erstellen. Wir demontieren die Rohre und saugen die Böden. Und das Gleiche passiert in dem Keller. Wir nehmen Ihr Auto auseinander. Wir werden den Beweis finden. Wir werden Sie damit in Verbindung bringen.«
»Das ist vollkommen lächerlich. Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden.«
»Ich gebe Ihnen eine Chance, Reue zu zeigen. Sagen Sie uns, wo Piper ist. Sagen Sie uns, was Sie mit Emily gemacht haben.«
Martinez versucht aufzustehen. DS Casey erhebt sich mit ihm. Er ist größer, kräftiger, einschüchternd.
»Ich habe das Sorgerecht für meine Tochter erstritten. Sie gehört mir. Warum lassen Sie nicht nach ihr suchen?«
»Beantworten Sie meine Fragen, Mr Martinez.«
»Ich muss mir das nicht anhören.«
»Aber Sie müssen sich hinsetzen.«
Der Forscher nimmt wieder Platz. Er ist schockiert, wütend.
Dieser Mann sagt entweder die Wahrheit, oder er ist ein Experte im Lügen, routiniert bis zur pathologischen Perfektion. Drury hat alles richtig gemacht – bei Details nachgehakt, nach den Kleinigkeiten gesucht, über die ein Verdächtiger so oft stolpert, weil Lügen schwerer durchzuhalten sind als die Wahrheit. Aber Phillip Martinez ist noch bemerkenswerter. Seine Antworten klingen absolut glaubwürdig. Es gibt keine Lücken oder unbeholfenen Wiederholungen. Er ist ernsthaft besorgt um Emily – er fragt andauernd nach ihr und beschuldigt seine Exfrau, ihr Verschwinden arrangiert zu haben.
Am Abend des Bingham Festivals erhielt er einen Anruf von einem Arzt, der ihm erklärte, dass seine Exfrau ins Littlemore Hospital in Oxford eingeliefert worden sei, nachdem sie unter akustischen Halluzinationen gelitten hatte. Er rief Emily an und traf sie zu Hause, wo er auch die Nacht verbrachte. Er hat nicht mitbekommen, dass Piper noch vorbeigeschaut hat. Er wusste nicht, dass Emily weglaufen wollte.
Bei Fragen nach dem Schneesturm ist es das Gleiche. Er und Emily haben zu Abend gegessen und ferngesehen, bis der Strom ausfiel. Dann haben sie eine Partie Scrabble bei Kerzenlicht gespielt, bevor sie zu Bett gingen.
Es ist der bravourhafte Auftritt eines Mannes, dem Unrecht getan wird. Er fühlt sich missverstanden, ist wütend, frustriert, gereizt.
Nach zwei Stunden macht Drury eine Pause. Regeln müssen eingehalten werden. Ich treffe ihn im Flur.
»Haben Sie zugehört?«, fragt er und trinkt einen großen Schluck Wasser aus einer Flasche.
»Ja.«
»Es ist, als ob er die Fragen kennen würde, die kommen.«
»Er hatte drei Jahre Zeit, sich vorzubereiten.«
Drurys Brust dehnt sich aus, als würden sich unter seinem Hemd Muskeln bewegen. »Wie knacke ich ihn?«
»Vielleicht können Sie das nicht. Die besten Lügner sind die Menschen, die sich gut selbst belügen können.«
»Sie meinen, er leidet unter Wahnvorstellungen?«
»Kein bisschen. Täuschung und Selbsttäuschung erfordern dieselben Fähigkeiten. Haben Sie sich noch nie gefragt, warum manche Leute beim Solitaire schummeln oder heimlich die Lösungen von Kreuzworträtseln nachgucken? Es ist kein Wettbewerb, und es gibt keinen Preis, trotzdem machen sie es.«
»Sie wollen sich gut fühlen.«
»Indem sie mogeln?«
Drury zuckt die Achseln. »Also, wie kommt es dazu?«
»Es ist ein evolutionärer Prozess. Vor vierzig Jahren hat ein Biologe namens Robert Trivers die These aufgestellt, dass unser Hang zur Selbsttäuschung bis in prähistorische Zeiten zurückreicht, als wir uns erstmals zu Gruppen zusammenschlossen. Gemeinschaften haben Betrüger und Lügner schon immer bestraft, doch als hochintelligente Primaten wurde uns das Risiko bewusst, geächtet und an die Hyänen verfüttert zu werden, falls wir erwischt wurden. Das hat uns jedoch nicht daran gehindert zu lügen. Wir sind nur besser darin geworden. Wir haben gelernt, mit mehr durchzukommen.«
»Sie wollen also sagen, dass wir uns evolutionsgeschichtlich zu Lügnern entwickelt haben?«
»Ich sage, es ist eine Theorie. Deshalb hat Mark Twain geschrieben: ›Wie soll ein Mensch, der sich nicht
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