Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)
damit wir nicht an die Falltür kommen, nicht ohne seine Hilfe; und wir hatten auch keinen Fernseher und kein Oberlicht mehr.
Wenn wir brav waren, ließ er das Licht an. Wenn wir nicht gehorchten, schaltete er es aus. Eine solche Dunkelheit habt ihr noch nie gesehen; so dicht, dass ich daran hätte ersticken können; so durchdringend, dass sie sich anfühlte wie ein Ungeheuer, das in meine Ohren atmet.
Unser Leben war vollkommen fremdbestimmt. George entschied, was wir aßen und was wir anzogen. Er kontrollierte das Licht und die Luft. Manchmal war er freundlich, und wir durften uns über ihn lustig machen. Wir konnten ihm Einkaufslisten geben und ihn überreden, uns eine Zeitschrift oder noch etwas zu essen mitzubringen.
»Ich will nicht, dass ihr fett werdet«, sagte er, als er uns die Schokolade rationierte.
Die Zeitschriften wurden von vorn bis hinten durchgelesen, wieder und wieder. Es gab neue Gesichter, neue Filme, neue Sachen, die hipp waren, aber auch die ewig alten Geschichten. Brad und Angelina. Posh und Beck. Elton und David. Prinz William hat Kate Middleton geheiratet. Pippas Hintern wurde berühmt.
Wir hatten keine Ahnung, ob wir in der Nähe von zu Hause waren. Ich weiß es immer noch nicht. Wir könnten meilenweit weg sein oder gleich hinter dem Wald. Ich weiß, dass in der Nähe Gleise vorbeiführen, weil ich die Züge hören kann, wenn der Wind aus der richtigen Richtung weht.
Ich vermisse Tash. Ich vermisse es, den Arm zu ihrer Pritsche auszustrecken und ihre Hand zu fassen. Ich vermisse ihre Stimme. Ich vermisse es, ihr beim Schlafen zuzusehen.
Seit sie weggelaufen ist, war George nicht bei mir, und ich weiß, dass er wütend sein wird. Deswegen muss Tash bald mit der Polizei zurückkommen … vor George.
Mir gehen die Lebensmittel aus, und es ist kaum noch Gas in der Flasche.
Meine Handschrift wird immer krakeliger, weil es so kalt ist. Ich kann meine Finger kaum spüren, da ist es schwer, einen Bleistift zu halten. Wenn die Spitze stumpf wird, reibe ich sie vorsichtig an den Steinen, um sie anzuspitzen.
Schreiben bewahrt mich davor, den Verstand zu verlieren, aber so etwas hatte Tash nicht.
Sie wurde immer kränker. Hat nicht mehr gegessen. Sich die Fingernägel blutig gebissen.
Deswegen musste sie hier raus.
4
Augie Shaw sitzt, auf die Ellbogen gestützt und nach vorn gebeugt, an einem Tisch und betrachtet sich im Spiegel. Er kann mich hinter dem eigenen Spiegelbild nicht sehen, doch er scheint mir direkt in die Augen zu starren.
Spiegel in Vernehmungszimmern haben einen interessanten Effekt. Die Leute tun sich schwer zu lügen, wenn sie sich selbst dabei zusehen können. Sie werden verlegen und versuchen gleichzeitig, überzeugender und ehrlicher zu klingen.
Augie ist jetzt aufgestanden und führt Selbstgespräche, gestenreich und mit verschiedenen Grimassen, als würde er einen inneren Dialog führen. Er ist größer, als ich ihn mir vorgestellt habe, geht leicht hinkend und schlurfend, und sein Haar fällt ihm in die Stirn und über ein Auge.
Vor dem Spiegel bleibt er stehen, beugt sich vor, zieht die Brauen hoch und lässt sie wieder sinken. Er hat große Augen und eine breite Stirn, was bei den meisten Männern attraktiv wirkt. Seine Hände sind mit einer weißen Mullbinde umwickelt, und er trägt einen blauen Overall aus Papier.
»Wo sind seine Kleider?«, frage ich.
»Wir haben sie ins Labor gegeben«, sagt Drury.
Augie presst die Hände zusammen und schließt die Augen, als würde er beten.
»Er ist fromm«, sagt Drury. »Besucht die Pfingstgemeinde in der Stadt – so ein Laden, wo alle fröhlich klatschen und singen.«
»Ich nehme an, Sie sind kein gläubiger Mensch.«
»Ich bin unbedingt für die Erlösung. Schwierigkeiten habe ich nur bei dem lemminghaften Sprung in den Glauben.«
Ich öffne die Tür und betrete den Raum. Augies Blick huscht über die Wände zum Boden, aber immer an mir vorbei. Er riecht nach Schweiß und Talkum.
Ich nehme Platz und fordere Augie auf, sich ebenfalls zu setzen. Er mustert argwöhnisch den Stuhl, bevor er seine langen Gliedmaßen so darauf faltet, dass seine Knie seitwärts zur Tür zeigen.
»Ich heiße Joe. Ich bin Psychologe. Hast du schon mal mit jemandem wie mir geredet?«
»Ich gehe zu Dr. Victoria.«
»Wieso?«
Er zuckt die Schultern. »Ich hab nichts gemacht.«
»Das sage ich ja auch gar nicht.«
»Warum starren Sie mich dann so an? Sie denken, ich hätte etwas Böses getan. Sie wollen mir die Schuld geben.
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