Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)

sind. Wir brauchen einen Grundriss.«
    »Es ist Weihnachten, Boss.«
    »Okay«, flucht Drury, »aber holen Sie mir einen Kinderschutzbeamten. Ich will einen von denen dabeihaben.«
    Die Stimmung im Einsatzraum ist wie verwandelt. Erschöpfte Körper sind von frischer Energie belebt. Müdigkeit ist vergessen.
    Während ich das Treiben verfolge, wird mir klar, wie weit entfernt ich von diesen Beamten bin. Ich bin ein Außenseiter, ein Zivilist, außerdem noch Psychologe, Vertreter eines Berufsstands, dem sie misstrauen. Sie stellen sich vor, ich würde unaufhörlich ihre Körpersprache lesen, nach Schwächen und unbewussten Signalen suchen wie ein Mann mit Röntgenaugen, der in die Abgründe ihrer Seelen blicken kann. Solche Ängste sind irrational und unbegründet, doch das ändert nichts daran, dass es sie gibt. Manche Menschen können sich in Gegenwart eines Polizisten, Priesters oder Abtreibungsarztes nicht entspannen; das Gleiche gilt für Psychologen.
    Drurys Handy klingelt erneut. Er antwortet hastig, gereizt. Es ist der Chief Constable.
    »Ja, Sir. Ich bin unmittelbar dran. Wir haben eine heiße Spur, wo Piper Hadley sein könnte … in North Oxford … Richtig, Sir … Wir können ihn mit der stillgelegten Fabrik und mit beiden Mädchen in Verbindung bringen … Ich verstehe Ihre Besorgnis, Sir, doch wir haben die Sache im Griff … Im Laufe der nächsten Stunde … Sobald ich etwas weiß.«
    Casey kommt aus dem Lift. An seinem Tweedjackett kleben Regentropfen, und sein nasses Haar sieht noch mehr aus wie ein Helm als sonst. Er hat den ganzen Morgen in dem Suchgebiet verbracht und Freiwillige koordiniert. Die meisten wollen zum Weihnachtsessen nach Hause.
    »Wie soll es weitergehen, Boss?«, fragt er und dehnt seine steif gefrorenen Finger.
    »Mal sehen, wie viele im Feldeinsatz bleiben«, sagt Drury. »Und wenn es dunkel wird, blasen wir die Sache ab.«
    Die Einsatzbesprechung ist beendet. Das Team versammelt sich unten. Fahrzeuge stehen bereit, Motoren laufen. Bekleidet mit einer kugelsicheren Weste steigt Drury in den ersten Wagen, ein Mann, der alles vollkommen im Griff hat. Er hat mich nicht um Hilfe gebeten. Er hat nicht mit mir gesprochen. Das ist seine Show.
    Mein Handy klingelt. Es ist Ruiz.
    »Was ist der Unterschied zwischen einem Schneemann und einer Schneefrau?«
    »Schneebälle«, sage ich.
    »Du kanntest ihn schon.«
    »Der ist uralt.«
    Ruiz seufzt und überlegt, welchen Witz er stattdessen erzählen könnte.
    »Irgendwelche Neuigkeiten?«, frage ich.
    »Ich sollte eine Detektei aufmachen.«
    »Du hast es gehasst, Schurken zu jagen.«
    »Ja, aber ich war trotzdem ziemlich gut. Ich habe Emily Martinez gefunden. Sie ist bei ihrer Mutter.«
    »Du hast mit ihr gesprochen.«
    »Ja. Sie ist gestern gegen Mittag dort angekommen. Es hat eine Weile gedauert, bis ich Amanda Martinez überzeugen konnte, dass ich nicht für ihren Mann arbeite.«
    »Was hat Emily über den Streit gesagt?«
    »Es war genauso, wie Martinez es beschrieben hat.«
    »Er hat also die Wahrheit gesagt.«
    »In dem Punkt jedenfalls«, sagt Ruiz.
    Er redet weiter, während ich beobachte, wie ein Bus eine Ladung freiwilliger Suchhelfer auf dem Parkplatz absetzt. Sie tragen schlammverschmierte Stiefel und weiße Overalls. Als sie zu ihren Wagen gehen, erinnern sie mich an ausgemergelte Schneemänner.
    »Ich muss Schluss machen«, erkläre ich Ruiz.
    »Was gibt’s?«
    »Vielleicht gar nichts.«
    Auf dem Weg zurück nach oben nehme ich jeweils zwei Stufen auf einmal. Im Einsatzraum organisiert DS Casey über Funk Erfrischungen für die Suchtrupps, die noch vor Ort sind. Ich warte, bis er fertig ist.
    »Wo finde ich die Aufnahmen der Sicherheitskameras vom Bingham Festival?«
    »Die müssten im Datenarchiv sein.«
    »Können Sie sie für mich aufrufen?«
    Er loggt mich in den nächsten Computer ein und verbindet mich mit dem Police National Computer, einer Datenbank, die Details über jeden bekannten Straftäter und jede »Person von Interesse« in Großbritannien enthält: Namen, Spitznamen, Decknamen, Narben, Tätowierungen, Akzent, Schuhgröße, Größe, Alter, Haarfarbe, Augenfarbe, Strafregister, Komplizen und Vorgehensweise. Außerdem finden sich dort die Akten aller laufenden Ermittlungen, sodass Detectives landesweit Details abgleichen und nach Verbindungen suchen können.
    Das Video vom Bingham Festival ist unter einem Dutzend verschiedener Stichwörter abgelegt. Aufgenommen wurde es von einer Überwachungskamera gegenüber der