Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)
interessieren Sie sich für sie?«
»Vor vier Tagen wurde ein Ehepaar in seinem Bauernhaus bei Bingham ermordet.«
»Ich habe sie obduziert.«
»Ein Verdächtiger in dem Fall behauptet, er habe während des Schneesturms eine Frau auf der Straße gesehen. Er hätte sie beinahe überfahren. Er sagt, sie hätte keine Schuhe angehabt.«
»Na, das nenn ich Zufall«, sagt Dr. Leece und schiebt seine Brille nach oben. »Unsere Eisjungfrau war ebenso unbeschuht. Haben Sie einen Namen?«
»Nein.«
»Schade.« Er trifft offenbar eine Entscheidung. »Ihre Leiche ist gerade erst aufgetaut. Ich soll gleich mit der Obduktion beginnen. Sie können zugucken, wenn Sie wollen. Einige meiner Studenten kommen auch.«
»Ich bin eigentlich nicht …«
»Ein interessanter Fall. Ich hatte es noch nie mit einem gefrorenen Körper zu tun.«
»Was können Sie mir über sie sagen?«
»Weiblich, weiß, 1,63 Meter groß. Vor allem Haut und Knochen – maximal neunzig Pfund. Untergewichtig. Am Fundort habe ich sie auf Mitte zwanzig geschätzt, doch durch das Einfrieren hatte sich ihre Erscheinung verändert. Ich habe mittlerweile die Hände geröntgt und nach der Methode von Greulich und Pyle versucht, ihr Alter zu bestimmen. Ihrer Knochenentwicklung nach ist sie zwischen siebzehn und achtzehn Jahren alt.«
»Wie groß ist der Fehlerbereich?«
»Maximal ein Jahr.«
Er legt den Kopf zur Seite. In einem seiner Brillengläser spiegelt sich das Licht, sodass es aussieht, als würde er mir zuzwinkern.
»Was hatte sie an?«
»Einen Wollpullover und Leggins.«
»Und Sie haben keine Schuhe gefunden?«
»Nein, aber das ist nicht ungewöhnlich. Bei Unterkühlung machen die Menschen die seltsamsten Sachen. Einige Opfer denken, sie wären überhitzt, weil sich die Haut heiß anfühlt und juckt. Sie ziehen sich aus statt an. Sie könnte die Schuhe weggeworfen oder im Wasser abgestreift haben.«
Er nimmt einen Modellhubschrauber auf seinem Schreibtisch und dreht mit dem Zeigefinger das Rotorblatt. Auf den Aktenschränken und in den Regalen stehen weitere Helikopter.
»Ich fliege sie«, erklärt er, als er mein Interesse bemerkt.
»Modellhubschrauber?«
»Nein, die echten«, antwortet er lachend. »Ich habe einen Robinson R44. Ich sollte Sie irgendwann mal mitnehmen.«
»Ich bin nur für ein paar Tage in Oxford.«
»Sie klingen nervös. Ich bin ein sehr guter Pilot. Nur einmal abgestürzt. Technischer Fehler. Da ist mein altes Herz ganz schön gerast, kann ich Ihnen sagen.« Er blickt auf die Uhr. »Meine Studenten sollten mittlerweile da sein. Kommen Sie und gucken Sie zu.«
Der Obduktionssaal hat eine verglaste Zuschauergalerie mit Blick auf den OP -Tisch, ein Dutzend Plätze in ansteigenden Reihen. In der ersten Reihe sitzen Studenten, die sich gespannt vorbeugen.
Dr. Leece streift seine OP -Handschuhe über, winkt ihnen zu und überprüft das Mikrofon. Sein Assistent zieht einen Vorhang auf, um einen blassen dünnen Leichnam zu enthüllen, der unter dem hellen Licht noch weißer wirkt. Sie ist nackt, die Arme sind neben dem Körper ausgestreckt, die Beine parallel ausgerichtet.
Mit ihrer mattweißen Haut sieht sie beinahe aus wie eine von Schürfwunden, Kratzern, Entzündungen und Blutergüssen verunstaltete Marmorstatue. Ihre Arme und Beine sind von roten Flecken gezeichnet, und ihre Augenlider erinnern an Tümpel aus violetter Farbe. Ihre Rippen zeichnen sich deutlich ab, und ihre Hüftknochen ragen scharf hervor, wo eigentlich Rundungen sein sollten.
Dr. Leece beginnt die Obduktion und liest von seinen Notizen ab.
»Am 19. Dezember gegen 13 Uhr wurde ich auf Bitte der Thames Valley Police an den Fundort der Toten in Abingdon, Oxfordshire, gerufen. Um 14.45 wurde ich durch die äußere Absperrung zum Fundort vorgelassen, den ich über einen Feldweg erreichte. Der leitende Beamte der Spurensicherung Marcus Larkin informierte mich kurz über die Umstände.
Bei der Toten handelte es sich um eine halb bekleidete junge Frau im Eis am Rand eines zugefrorenen Sees neben den Eisenbahngleisen. Heftiger Schneefall hatte die Leiche zugedeckt, nur die rechte Hand ragte aus dem Eis.
Nach meinen Anweisungen wurden Fotos vom Fundort gemacht. Die Tote lag auf der Seite, ihr Kopf auf der linken Schulter und dem linken Oberarm, die Beine angezogen in Embryonalstellung.
Ihre Kleidung bestand aus einem dicken Wollpullover und dunklen Baumwollleggins. Sie trug keine Unterwäsche, ihre Füße waren nackt.
Das Eis musste mit Spezialwerkzeug
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