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Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)

Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)

Titel: Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Robotham
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schon fast vergessen. Sie jammerte, ihre Mum würde sie umbringen, und ihr Dad würde es als einen weiteren Vorwand benutzen, um das Sorgerecht zu bekommen.
    Türen öffneten sich, Menschen traten auf die Straße. An ihre Gesichter kann ich mich nicht erinnern. Ich wollte weglaufen. Ich weiß, es klingt bescheuert, aber ich dachte, wenn ich schnell genug laufen würde, könnte ich dem, was passiert war, einen Schritt voraus bleiben. Callum wäre nicht tot, und ich hätte ihn nicht durch die Luft wirbeln sehen und das Geräusch hören müssen, als sein Körper auf den Asphalt schlug.
    Er war nicht tot, doch das wusste ich damals noch nicht. Ein Krankenwagen brachte ihn ins Krankenhaus, die Ärzte versetzten ihn ins Koma und hielten ihn mit Maschinen am Leben, die sein Herz weiterpumpen ließen. Doch seine Beine konnten sie nicht retten. Die Knochen waren zertrümmert, ein Bein schon halb abgetrennt, also brachten sie die Sache zu Ende.
    Diese Erinnerungen stürzen auf mich ein und füllen meine Lunge, bis ich nur noch mühsam Luft kriege. Ich hole tief Luft und betrachte meine Hände, die so fest geballt sind, dass meine Fingernägel rote Abdrücke auf der Haut hinterlassen haben.
    Ein matschiges Licht hat die Dunkelheit vor dem Fenster durchbrochen. Ein weiterer Tag beginnt.

21
    Isaac McBain lebt in einem Schuppen am Rand eines Bauhofs, der nach Schimmel und feuchtem Holz riecht. Ruiz klopft, doch nichts regt sich.
    Ich spähe durch das schmutzige Vorderfenster. Im Halbdunkel kann ich ein Wohnzimmer mit ein paar schäbigen Möbeln, einem Barkühlschrank und einem Fünfzig-Zoll-Flachbildschirm erkennen. Der Mann hat seine Prioritäten. An einer Wand ist seine Schallplattensammlung, hunderte von Vinylalben nebeneinander in Regalen, die Musik eines ganzen Lebens, nach Genres unterteilt und alphabetisch geordnet.
    »Kann ich Ihnen helfen?«
    Die Stimme gehört einem großen Mann mit dichten Locken, der hinter einem Maschendrahtzaun steht. Er trägt ein Nike-Sweatshirt, weite Hose und teure Trainingsschuhe und hält einen Bullterrier an einer verkürzten Leine. Der Hund springt gegen den Zaun, mit gebleckten Zähnen und in blinder Wut, doch er bellt nicht. Sein Kehlkopf ist entweder entfernt oder bei einem Kampf verletzt worden. Der Mann zieht an der Kette und reißt den Terrier von den Beinen.
    »Wir suchen Isaac McBain«, sage ich.
    »Wer hat Ihnen gesagt, dass er hier ist?«
    »Sein Sohn.«
    Der Mann konzentriert sich vor allem auf Ruiz.
    »Sind Sie Schuldeneintreiber?«
    »Nein.«
    »Arbeiten Sie für die Connolly-Brüder?«
    »Nein.«
    Das muss Vic McBain sein, Natashas Onkel.
    »Es geht um Natasha«, sage ich. »Hat Isaac es Ihnen erzählt?«
    »Ja, hat er. Was hat Natasha an den Radley Lakes gesucht?«
    »Wir wissen es nicht.«
    Es entsteht eine weitere lange Pause. Der Bullterrier hat sich wieder beruhigt.
    »Netter Hund«, sagt Ruiz.
    »Er könnte Ihnen die Kehle rausreißen.«
    »Ist bestimmt gut mit Kindern.«
    Vic reibt sich den Mund. »Sie sehen aus wie ein Bulle.«
    »Früher mal«, sagt Ruiz. »Jetzt arbeite ich freiberuflich. Bessere Arbeitszeiten. Weniger Vorschriften.«
    »Isaac ist heute nicht zur Arbeit gekommen. Kann ich ihm nicht verdenken.«
    »Haben Sie eine Ahnung, wo er sein könnte?«, frage ich.
    »Mittlerweile wahrscheinlich betrunken. Selbstmedikation. Betäubt den Schmerz.«
    »Wo trinkt er normalerweise?«
    »Im White Swan in Abingdon.«
    Vic McBain dreht sich um und geht zwischen Regalen mit Gerüststangen und Brettern zurück über den schlammigen Bauhof. Der Hund humpelt hinter ihm her, schnuppert an einer Tonne und hebt beiläufig das Hinterbein.
    Das White Swan ist eins jener Pubs, die man nur findet, wenn man einheimisch ist oder sich verirrt hat. Wir müssen zwei Mal nach dem Weg fragen. Die einzige Beleuchtung sind zwei Neonröhren über der Bar und das matte Licht, das durch die beiden offenen Türen fällt, auf denen LADIES und GENTS steht.
    Die Barkeeperin trägt eine blaue Punkfrisur, an einer Seite kahl geschoren, und schwarzen Nagellack.
    Ruiz beugt sich über den Tresen und studiert die Zapfhähne. »Auf dem Schild draußen stand, Sie bieten eine reiche Auswahl von echten Ales an.«
    »Und?«
    »Handgezapft gibt es nur Morland’s Original. Das kann man ja wohl kaum eine reiche Auswahl nennen.«
    Sie sieht mich an. »Was hat der für ein Problem?«
    »Er hält sich für einen Feinschmecker.«
    Isaac McBain sitzt am anderen Ende des Tresens unter einer Union-Jack-Flagge.

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