Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)
nähern.
Am Sonntag kam die Polizei auch zu uns nach Hause und stellte mir eine Menge Fragen. Weil ich noch nicht strafmündig war, war bei der Befragung eine Sozialarbeiterin dabei. Das Einzige, was ich ausgelassen habe, war die Sache mit den Drogen. Ich hatte Angst, sie könnten mir ein Strafverfahren anhängen, weil ich an dem Joint gezogen hatte.
An dem Abend hörte ich, wie Mum und Dad unten stritten und sagten, ich sei »von der Spur abgekommen« und »nicht mehr zu bändigen« und würde im Gefängnis enden oder schlimmer. Am nächsten Morgen weckten sie mich nicht für die Schule. Mum klopfte nicht an meine Tür. Ich zog meine Schuluniform an und kam nach unten, doch sie sagte, ich solle wieder hochgehen und mich umziehen. Da bemerkte ich auch den Koffer, der in der Küche in der Ecke stand.
Zwei Männer kamen mich abholen. Ihr Van war so sauber und glänzend, dass sich die Wolken darin spiegelten. Ich dachte, ich würde aufs Polizeirevier gebracht, doch stattdessen brachten sie mich zu einer Art Heim mit Grünanlagen und hohen Mauern. Nicht in Oxford oder in London. Es lag inmitten von Feldern, die auf einer Seite ans Meer grenzten.
Mum ist am ersten Tag mitgekommen, aber sie blieb nicht.
»Bitte sei ein braves Mädchen, dann bist du in null Komma nichts wieder zu Hause«, sagte sie.
Ich packte ihren Arm und flehte sie an, sie solle mich nicht allein lassen.
»Das tun wir nur, weil wir dich lieben«, sagte sie.
So etwas sagen Eltern immer – Sachen wie »das wird mir mehr wehtun als dir«, aber wie kann das wahr sein?
Abends hörte ich, wie meine Tür abgeschlossen wurde. Und alle paar Stunden kam jemand durch den Flur und guckte durch eine Luke. Ich konnte das Licht nicht abschalten, selbst wenn ich es gewollt hätte. Am nächsten Tag trat ich gegen eine der Krankenschwestern aus, und sie drohte, mich mit Handschellen ans Bett zu fesseln. Ich glaubte ihr nicht, bis sie mit den Handschellen vor meiner Nase herumwedelte.
An dem Tag musste ich alle möglichen Tests machen, man zeigte mir Fotos und verschiedene Formen. Manchmal waren es auch Bilder, die kurz auf einem Computerbildschirm aufleuchteten, und ich musste auf einen roten oder einen grünen Knopf drücken, je nachdem welche Empfindungen das Bild bei mir auslöste. Ich nahm an, Rot sollte Wut symbolisieren, und Grün stand für Ruhe. Ich versuchte, die Ergebnisse durcheinanderzubringen, indem ich bei Bildern von kleinen Hündchen auf Rot und bei Bildern von Aufständen auf Grün drückte.
Mein Therapeut hieß Vernon, und er fragte mich, ob ich mich je selbst berühren würde. Ich überlegte, was Tash sagen würde. »Andauernd. Ich benutze Gurken, Kerzen, alles, was ich in die Finger kriege.«
Es gab auch Gruppensitzungen mit anderen Mädchen. Nie mit Jungen. Einige waren mager- oder fresssüchtig, selbstmordgefährdet oder Ritzerinnen. In den Gruppensitzungen war der Therapeut nie konkret. Es ging immer nur um »Gefühle«.
»Ihr wollt wissen, wie ich mich fühle. Ich finde es scheiße, dass ich hier bin«, erklärte ich ihnen. Das brachte mir ein Fernsehverbot für den Abend ein. Ich erklärte ihnen, dass mir Fernsehen scheißegal wäre, wofür mir eine Woche lang das Privileg des Nachtischs entzogen wurde. Mir wurde eine Menge Privilegien entzogen. Ich kann nicht mal sagen, welche im Einzelnen, weil mir viele schon entzogen worden waren, bevor ich sie genießen konnte.
Jeder wurde für dies oder jenes eingeteilt. Wir mussten die Tische decken, das Geschirr abräumen oder in der Küche helfen. Unsere Betten mussten gemacht und unsere Zimmer aufgeräumt sein. Es war, als ob man auf einem Internat wäre. Sogar die Socken mussten auf eine bestimmte Weise gefaltet werden.
»Nicht verknoten, sondern mit einem Lächeln falten«, sagte die Hausmutter.
»Meine stinken wie Ihre Arschfalte«, erklärte ich ihr.
Von da an durfte ich nicht mehr in den Spieleraum.
Wenigstens ließen sie mich schreiben. Ich wurde sogar dazu ermutigt. Ich musste Listen erstellen. Was mir an mir selbst gefiel und was nicht. Mein Aussehen zum Beispiel, mein Fluchen, meine Launen, die Tatsache, dass ich schlecht in Mathe bin …
Einmal in der Woche durfte ich Mum und Dad anrufen. Ich flehte sie an. Ich weinte. Ich versuchte, ihnen Schuldgefühle zu machen, damit sie mich nach Hause kommen ließen. Die Stimme meines Vaters wurde immer ganz zittrig, aber dann schnappte Mum sich das Telefon, bevor er zusammenbrach.
Ich hatte kein Handy. Ich konnte nicht mit Tash reden
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