Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)
und herausfinden, was mit Callum und Aiden geschehen war. Tage dehnten sich zu Wochen, einem Monat, zwei Monaten. Es gab weitere Therapiesitzungen und Vorträge über Drogen und Alkohol.
Meine Eltern dachten, ich wäre drogensüchtig – oder so gut wie. Ich sei »auf einer abschüssigen glatten Straße unterwegs«, sagten sie.
Nach acht Wochen durfte ich wieder nach Hause. Ich erfuhr es erst eine halbe Stunde, bevor meine Eltern eintrafen. Und selbst dann wies mich die Hausmutter nur an: »Pack deinen Koffer.«
Mum kam in den Empfangsbereich. Dad blieb draußen beim Wagen. Das war alles. Wir fuhren schweigend nach Hause, und ich ging in mein Zimmer. Ich betrachtete meinen Computer und mein Handy. Ich rief Tash nicht an. Ich schickte niemandem eine E-Mail. Ich kramte meine alten Spielsachen hervor und spielte damit. Ich kämmte meinen Barbie-Puppen das Haar und zog ihnen andere Kleider an. Das hatte ich seit Jahren nicht mehr getan.
Miss McCrudden, meine Englischlehrerin, die meine Geschichten so mag, hat mir gesagt, ich solle beim Schreiben darauf achten, dass meine Figuren nicht immer so passiv sind. Sie müssen selbst etwas tun, sagte sie, anstatt dass ihnen immer nur etwas geschah.
Da habe ich begriffen, was sie meinte. Ich war eine passive Figur in meinem eigenen Leben, die zuließ, dass Dinge mit ihr passierten, anstatt meinen eigenen Weg zu finden und ihn auch zu gehen.
Ab jetzt nicht mehr, beschloss ich, nie wieder.
23
Den Hausmeister aufzuspüren ist leicht. Er hat weder seine Spuren verwischt, noch ist er in ein tiefes dunkles Loch gekrochen. Heutzutage ist niemand mehr weit unter der Oberfläche, nicht in Zeiten von E-Mails, Facebook und Twitter Accounts. Fast jeder hinterlässt eine elektronische Spur wie Mäuseköttel im Cyberspace.
Nelson Stokes arbeitet jetzt für die Straßenreinigung der Stadt Oxford und schiebt eine Handkarre durch Fußgängerzonen und Gassen, die für die Maschinen zu eng sind.
Er ist achtunddreißig, hat lange Haare und ein eckiges Gesicht. Er trägt ein einfaches Wollhemd und eine reflektierende Jacke. Er hat seinen Karren vor einem Schuhladen geparkt und dreht sich eine Zigarette. In dem Laden steht eine junge Verkäuferin auf Zehenspitzen, um Schachteln in ein hohes Regal zu schieben. Stokes betrachtet ihre Schenkel, die sich unter dem kurzen Rock anspannen.
»Mr Stokes?«
Er dreht sich langsam um. »Kenne ich Sie?«
Ich überreiche ihm meine Visitenkarte. Er liest sie sorgfältig und lässt sich einen Moment Zeit, um zu entscheiden, ob ich ein Ärgernis oder eine Chance bin. Ich habe seine Polizeiakte gelesen, eine deprimierende Lektüre. Mit Anfang zwanzig wurde er zum ersten Mal festgenommen wegen des Besitzes von Diebesgut. Er bekannte sich schuldig und kam mit einer Bewährungsstrafe davon. Davor hatte er Maschinenbau studiert, war jedoch von der Universität geflogen, weil er bei den Prüfungen nach dem ersten Jahr beim Mogeln erwischt wurde. Seitdem Gelegenheitsarbeiten, Heirat, Scheidung, eine gescheiterte Firmengründung. In St. Catherine’s arbeitete er zwei Jahre als Hausmeister und Platzwart, bevor er gefeuert wurde.
Laut Polizeiakte beschwerte sich eine Handvoll älterer Schülerinnen darüber, dass Stokes Fotos von ihnen gemacht hatte. Es stellte sich heraus, dass die Mädchen sich eines Tages schnell auf der Rückseite der Turnhalle umgezogen hatten, anstatt nach oben in die Umkleidekabinen zu gehen. Stokes hatte sie mit einer Digitalkamera aufgenommen. Unter den Fotos fand man auch Bilder von Natasha.
Der Hausmeister verbrachte zwei Tage in Polizeigewahrsam und wurde acht Stunden lang befragt, hatte jedoch für den Sonntagmorgen, an dem die Mädchen verschwunden waren, ein Alibi.
Stokes lehnt seinen Besen an die Karre, setzt sich auf den Sitz an einer Bushaltestelle und zündet seine Zigarette an.
»Ich hatte gehofft, mit Ihnen über die Bingham Girls sprechen zu können.«
»Was haben Sie denn damit zu tun?«
»Ich wurde gebeten, die Ermittlung noch einmal durchzusehen.«
»Damit hatte ich nichts zu tun.«
»Sie kannten die Mädchen.«
»Hat man sie gefunden? Die Leichen, meine ich.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Liegt doch nahe.« Er bläst Rauch aus dem Mundwinkel aus. »Die ganze Zeit vermisst – da müssen sie doch tot sein.«
Er hebt den Blick und guckt über die Straße zu einer Gruppe von Mädchen, die schwatzend vor einem Starbucks stehen. Ich bemerke die Hitze in seinen Augen und seinen ungewaschenen Geruch.
»Ich weiß von
Weitere Kostenlose Bücher